Bombenattentat gegen einen türkischen Imbissstand! Mit Sachschaden von 1.500 Mark! Ist das wirklich Top-News im deutschen Fernsehen? Wenn der Korrespondent im Heimatland Urlaub macht und nur gelegentlich über Satellit die Tagesschau sieht, kann er leicht überrascht werden. Es stellt sich dann heraus, dass es der wirklich hässliche und feige Düsseldorfer Bombenattentat war, was die Politiker und Redakteure so sensibilisierte. Als ob man wirklich darauf hätte warten sollen -- so kommt dann der zweite Gedanke -- nach der unseligen Reihe, die vor beinahe zehn Jahren in Hoyerswerda begann und über Rostock, Mölln und Solingen bis Guben, kreuz und quer im Osten und Westen reichte? Es ist ja nichts Neues, dass es Ausländerfeinde gibt, und auch solche, die sie still unterstützen.

Ist dies also nur das Sommertheater, das jedes Jahr geöffnet wird, als der Bundestag schließt? Schon möglich. Eine deutsche Kollegin bestätigt mein Verdacht auch. Allerdings: wenn schon Sommertheater, dann finde ich, dass diesmal das Repertoire viel besser gestaltet war mit diesem Bildungsdrama, als mit der Farce, die uns voriges Jahr angeboten wurde von den miteinander kämpfenden sozialdemokratischen Fraktionen. Es ist eben wichtig, dass dieses Stück ("Demokraten gegen Extremismus") immer wieder vorgeführt wird. Und zwar nicht vor allem aus dem Grund, den die deutsche politische Klasse selber für ausschlaggebend hält, nämlich dass die eigene Vergangenheit die Deutschen dazu gerade verpflichtet. Diese andauernde Selbstzerfleischung ist ehrenwert, aber nicht unbedingt nötig. Nein, dieses Stück sollte nicht nur in Deutschland, sondern in so vielen Ländern wie möglich en suite gespielt werden, zumindest bis einmal die Zeit kommt, als keiner mehr versteht, worum es geht. Und da haben sich die Deutschen nichts vorzuwerfen, jedenfalls was die politische Elite betrifft. Die ist sicher auf einem der Spitzenplätzen. Als ich vor etwa zehn Jahren schon einmal als Korrespondent in Berlin arbeitete, war für mich der Fall Jenninger das erste Beispiel dafür, wie ernst die (damals nur west-)deutschen Politiker und Journalisten es nehmen, wenn auch nur ein kleiner Verdacht aufkommt, hier könnte einer möglicherweise mit unschicklichen Gedanken kokettieren.

Nun gehörte es nach der Regierungsbildung in Österreich zu meiner Arbeit nachzuschauen, ob es eine Gefahr der Haiderisierung in Deutschland gibt. Die allgemeine Antwort war ein ziemlich sicheres Nein, zumindest für die absehbare Zeit. Parteien und Politiker des rechten Randes sind in der Tat bundesweit unbedeutend, und in Landesparlamenten, wenn sie manchmal reinkommen, werden sie isoliert. In Ungarn ist dies keineswegs so selbstverständlich. Eine Partei, die mit den deutschen Republikanern oder mit der französischen Nationalen Front vergleichbar und mit Le Pen tatsächlich befreundet ist, hat eine eigene Fraktion im ungarischen Parlament, und soll sich nicht allzu alleine fühlen. Die rechtskonservative Regierung soll sich mitunter gefallen lassen, dass die linksliberale Opposition ihren Verdacht äußert, Regierungspolitiker hätten ab und zu hinter den Kulissen die Hilfe der äußeren Rechten in Anspruch genommen. In Deutschland wäre schon ein Verdacht verdächtig. Wir üben uns allerdings erst seit einem Jahrzehnt in unserer neuen Demokratie.

Der Lob an die Adresse der deutschen politischen Elite kann freilich nicht grenzenlos sein. Es ist zwar schön, ständig glaubhaft deklariert zu hören, dass es eine gewisse Grenze gibt, über die hinaus sich ernsthafte Politiker nicht trauen würden. Sie würden nicht der Versuchung erliegen, aus politischem Kalkül den Geist ein kleines bisschen aus der Flasche rausgucken zu lassen, in der Hoffnung, dass sie ihn bald wieder zurückschicken können. Eine andere Sache ist jedoch, ob das genügt. Die Vorführungen des Sommertheaters lehrten vielleicht -- nein, zunächst weniger das Publikum, eher die Akteure selber, dass schöne Sprüche nicht ausreichen. Was solche Menschen, die keine Zeit-Leser sind, denken, ist zu oft etwas anderes, als was die Politiker und Medienmacher denken. Das war und ist fast überall so. Im neuerdings erschienenen Auschwitz-Buch von Alphons Silbermann und Manfred Stoffers las ich den Satz, der so verwunderlich gar nicht ist: "Wer glaubt, zur zivilisatorischen Elite zu gehören, übersieht nur allzuleicht, daß Toleranz in der Menschheitsgeschichte durchaus nicht zu den Selbstverständlichkeiten gehört, sondern wohl eher eine Ausnahmeerscheinung war: ein zivilisatorischer Luxus." Es wäre nur richtig, wenn deutsche Politiker mit Worten, Gesten und auch Taten künftig mehr tun würden, damit sich alle, die in der Bundesrepublik leben, nicht nur den (immer noch!) berühmten Wohlstand, sondern eben auch diesen zivilisatorischen Luxus leisten könnten.

September 2000


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