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DER STANDARD (Wien)

Sa./So./Mo., 30. /31. März/ 1. April 2002, Seite 4

Am kommenden Wochenende wählt unser Nachbar Ungarn ein neues Parlament

Wahlkampf im Endspurt: "Wir sind wieder wer"

Es ist ein wichtiger Teil des Erfolgsrezeptes: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán formuliert in der Öffentlichkeit ausschließlich einfache Botschaften. Er kleidet sie in leicht verständliche Bilder, wird verstanden und leitete so einen neuen Aufschwung der Rechten ein.

Gregor Mayer aus Budapest

"Die Rakete des Landes ist aufgestiegen", verkündete Orbán neulich, um den unter seiner Herrschaft eingetretenen wirtschaftlichen Aufschwung zu versinnbildlichen. "Drei Zimmer, drei Kinder, vier Räder", umriss er den von seiner Regierung angestrebten Lebensstandard. Die Botschaften müssten so formuliert sein, dass sie ein Zwölfjähriger versteht, postulierte schon vor Jahren ein PR-Berater der Jungdemokraten. Die Rede der Fidesz-Politiker bezieht sich nie auf die schnöde Wirklichkeit, sondern kreiert eine eigene, von idealisierten Selbst- und Wunschbildern ausgefüllte, virtuelle Welt. "Die Zukunft hat begonnen", lautet der Fidesz-Slogan für die Parlamentswahlen 2002. "Wir sind wieder wer", Ungarn ist wieder groß und stolz, schmeichelt er seinem Wahlvolk. "Wagen wir es, zu träumen!", so eine andere Parole aus der Sprüchemacher-Werkstatt seiner PR-Profis.

Als die Jungdemokraten die Wahlen 1998 gewannen, war diese Art von Sprache nicht nur in Ungarn, sondern im ganzen ehemaligen Ostblock etwas völlig Neues. Politiker aller Couleurs hatten - abgesehen von den polternden Rechtsextremisten - bis dahin einen öffentlichen Diskurs gepflegt, der die Bürokratensprache der späten Reformkommunisten mit der Alltagssprache verschmolz.

Orbáns Fidesz entstand in den Wendejahren als liberale Jugendbewegung, orientierte sich aber ab 1992 nach rechts. Die Wahlen 1994 gingen für den Fidesz desaströs aus. In den Urnengang 1998 ging man dann mit der geschilderten Neusprache. Seit damals designt, stylt und inszeniert ein PR-Team um den Orbán-Vertrauten András Wermer jeden öffentlichen Auftritt der Fidesz-Politiker, aber auch das Erscheinungsbild der Orbán-Regierung und die pompösen Staatsfeiern.

Ob sich die Ungarn inzwischen gewahr wurden, dass ihnen alter Wein in neuen Schläuchen kredenzt wurde, wird sich bei den Parlamentswahlen am 7. und 21. April erweisen. Denn der Orbánismus ist in seinem Wesen nichts anderes als rechter Populismus, wie er derzeit auch anderswo in der Mitte Europas herumgeistert.

Nach dem demokratischen Aufbruch und der grandiosen Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Ende des Kommunismus weist der Orbánismus eine antiliberale Stoßrichtung auf.

Anders als in Italien und Österreich entfaltet sich der Orbánismus in einer Nach-Wende-Gesellschaft, in der demokratischen Institutionen noch nicht so gefestigt und autoritäre Verhaltensmuster einer undemokratischen Vorzeit noch intakt sind. Seine wichtigsten Elemente sind:

Schwächung der Demokratie:

Unter Orbán wurde das Parlament durch Herabsetzung der Sitzungszeiten und Marginalisierung der Kontrollausschüsse ausgehöhlt. Das Justizsystem griff Orbán weniger vehement an als Berlusconi oder Haider - die im Kádár-System sozialisierten höheren Richter verstanden auch die Signale subtilerer Druckausübung. Die öffentlich-rechtlichen Medien wurden zu Regierungssprachrohren mit Reservaten für die Rechtsextremen.

Wiederverstaatlichung von Wirtschaft und Gesellschaft:

Die Sozialversicherungsträger wurden wiederverstaatlicht, die Pensionsreform in Richtung teilweise Eigenvorsorge gestoppt. Die traditionellen Kirchen - katholische und reformierte - wurden repolitisiert und vereinnahmt, der Staat reideologisiert. Feiern und öffentliche Akte suggerieren eine amtliche Deutung von Geschichte, die sich auf ethnozentrische, nationalistische und oft revisionistische Vorstellungen stützt.

Ausbleiben der Abgrenzung zur extremen Rechten:

So wie Schüssel mit der Haider-Partei koaliert und Berlusconi mit Postfaschisten, so kooperierte Orbán still und punktuell mit der rechtsextremen Wahrheits- und Lebenspartei (MIÉP) von István Csurka. Diese schuf sich Brückenköpfe in den öffentlich-rechtlichen Medien, erhielt eine eigene Privatradio-Frequenz in Budapest und den Posten des Verwaltungsamts-chefs von Budapest, der erst nach der peinlich-entlarvenden Äußerung, in seiner Person sei "die Koalition von Fidesz und MIÉP vorweggenommen", von Orbán halbherzig entlassen wurde.

Die Wahl 2002 dreht sich auch darum, ob die MIÉP stark genug sein wird, um für Orbán - insofern Fidesz gewinnt - als Koalitionspartner unumgänglich zu werden.