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DER STANDARD

Mittwoch, 17. April 2002, Seite 4

"Der Viktor" im Wandel der Zeit

Buchautor Péter Kende stieß mit seiner Orbán-Biografie in ein Wespennest

Gregor Mayer aus Budapest

Der Budapester Rechtsanwalt, Autor und Produzent Péter Kende vereint untrüglichen Geschäftssinn mit aufklärerischem Engagement. In einer öffentlichen Kultur, in der Autoren auf verbrauchernahe Themen pikiert herabblicken, landete er mit einem Buch über ärztliche Kunstfehler auf der Bestsellerliste. Vorher hatte niemand darüber geschrieben.

So war auch für jenes Projekt, das ihn zu Beginn des Wahljahres 2002 in alle Munde brachte, der Erfolg vorprogrammiert. "A Viktor" ("Der Viktor"), eine kritische Biografie des noch amtierenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, wurde zum Kultbuch. Ein Jahr lang hatte Kende ehemalige Mitstreiter Orbáns interviewt, Zeitungs-und Videoarchive gesichtet, mit Kindheits- und Jugendgefährten gesprochen.

Das Buch schreibt erstmals offen, was in Budapester Intellektuellenkreisen immer schon gemunkelt wurde: Unter dem Strahlenglanz des jugendlich-reinen Studenten-rebellen der Wendezeit, unter der Fassade des höchstbegabten politischen Strategen, der die hoffnungslos fragmentierte ungarische Rechte einigte, verbirgt sich eine sehr widersprüchliche Persönlichkeit.

Kende präsentiert einen aus kleinen Verhältnissen im ländlichen Raum kommenden Viktor Orbán, den ein vom Ehrgeiz getriebener Vater mit eiserner Hand aufzog. Einen Orbán, der seine politische Sozialisation im Biotop der studentischen Kollegien erfuhr, in von den Reformkommunisten geduldeten universitären Elitereservaten. Wir erfahren, wie sich damals um Viktor Orbán eine Gruppe von jungen Männern bildet, die alle Macht in den Selbstverwaltungsstrukturen des Kollegiums an sich reißt und nach innen durch männerbündlerische Loyalität zusammengehalten wird. "Ihr seid schlimmer als die Lenin-Garde des Béla Kun (Kommunistenführer der Räterepublik von 1919, d. Red.)", warf ihnen einer ihrer Lehrer, der Politologe László Kéri, damals an den Kopf - und prophezeite ihnen, dass sie dereinst die Macht im Lande übernehmen würden.

Tatsächlich gründete dieser Kern 1988 den Bund Junger Demokraten (Fidesz), säuberte diesen von den in der Wendezeit zugeströmten "Basisdemokraten" und positionierte die Partei ab 1993 klar rechts. Dieser Kern, er trifft bis heute die wesentlichen Entscheidungen im Land, wird durch ein Geflecht von Firmen zusammengeschweißt, die Nutznießer der öffentlichen Auftragsvergabe der Orbán-Regierung sind.

Fast alle dieser Details waren irgendwann einmal schon von Journalisten irgendwo beschrieben worden. Kendes Verdienst ist es, sie zur durchgehenden Lektüre systematisiert und so bei den Lesern ein Aha-Erlebnis ausgelöst zu haben.

Sein Werk ist nicht frei von Unzulänglichkeiten. Seine Quellen nennt er selten - zu deren "Schutz", wie er sagt. Auch viel unnötiger Tratsch über Dummheiten, wie sie in jedem Studentenheim vorkommen, füllt die Seiten. Als das Buch zu Jahresbeginn erschien, war es sofort vergriffen. Regierungssympathisanten versuchten es mit Aufkauf-Aktionen. Nach-Auflagen erschienen. Juristische Schritte blieben aus, weil Kende als Jurist seine Formulierungen geschickt wählte.

Dafür erschienen "ganz zufällig" die Steuerprüfer in seiner Firma, und das staatliche ungarische Fernsehen kündigte ihm den Vertrag für das von ihm produzierte Schnulzen-Programm "Sláger TV", einem Quotenhit. Die Historikerin Mária Schmidt, Orbán-Beraterin und Leiterin des eben eröffneten "Terrorhauses", eines umstrittenen antikommunistischen Erlebnismuseums, hielt ihren Zorn nicht zurück: "In besseren Zeiten hat man solche Menschen erschossen wie einen Hund."