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Die Presse (Wien)

Viktor Orbán warnt vor den "Kräften der Vergangenheit"

Der konservative Premier mobilisierte am Wochenende seine Anhängerschaft für die alles entscheidende zweite Runde der Parlamentswahl.

Von unserem Korrespondenten PETER BOGNAR

BUDAPEST. Die Menge auf dem Budapester Kossuth-Platz beim imposanten neugotischen Parlamentsgebäude ist schier unübersehbar. Von zwei Millionen Menschen sprechen die Veranstalter, die Jungdemokraten (Fidesz) von Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Polizei enthält sich irgendwelcher Schätzungen, während Gabor Kuncze, Chef der Linksliberalen (SZDSZ) und erbitterter politischer Widersacher der Konservativen von gerade einer Viertelmillion Teilnehmern spricht.

Wie auch immer: Viktor Orbán, der in der ersten Wahlrunde der ungarischen Parlamentswahl überraschend nur den zweiten Platz hinter den Sozialisten (MSZP) belegte, hat seine Anhängerschaft nach Budapest gerufen - und sie ist in Massen aus dem ganzen Land gekommen. Bei der Kundgebung geht es darum, alle Kräfte des rechten politischen Lagers für die entscheidende Wahlrunde am kommenden Sonntag zu mobilisieren und motivieren.

Als Orbán die Bühne betritt, umgeben von einer Schar bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, braust der Jubel Hunderttausender auf, ersticken die Begrüßungsworte in minutenlangen "Viktor-Viktor"-Sprechchören. Ein verschmitztes Grinsen huscht über das Gesicht des Politikers, er genießt die Ovationen sichtlich.

Und inhaltlich? Orbán brandmarkt die Sozialisten als "Kraft der Vergangenheit". Wer aber die Vergangenheit vergesse, der sei dazu verdammt, sie noch einmal zu durchleben. Die Sozialisten hätten Mitte der neunziger Jahre ein rigides Sparpaket eingeführt und dem Land nichts Gutes gebracht. Es müsse verhindert werden, daß die Errungenschaften seiner rechtsliberalen Regierung wieder rückgängig gemacht würden und mit der MSZP erneut das "Groß- und Finanzkapital" die Macht in Ungarn ergreife.

Dann ruft er seine Anhängerschaft auf, am 21. April zu den Urnen zu gehen: "Wenn wir am kommenden Sonntag stark genug sind, dann werden die bürgerlichen Kräfte gewinnen - und Ungarn wird gewinnen." Wieder hallt dröhnender Jubel über den Kossuth-Platz, und auch die Schlußworte gehen wieder in "Viktor, Viktor"-Chören unter.


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Neue Zürcher Zeitung

Massenkundgebung des Fidesz in Budapest

Appell Orbans vor dem zweiten Wahlgang

A. O. Die im ersten Wahlgang am 7. April knapp geschlagenen Jungdemokraten (Fidesz), Ungarns grösste Regierungspartei, haben am Samstagnachmittag mit einer Massenkundgebung ihre Versuche fortgesetzt, vor dem 21. April doch noch eine Stimmungswende zu ihren Gunsten zu erzwingen. Ministerpräsident Orban hatte vier Tage zuvor zum Grossanlass vor dem Parlament aufgerufen, und die Wahlversammlung auf dem riesigen Platz geriet in der Tat zu einer Massenveranstaltung seltener Art. Die Angaben über die Teilnehmerzahl gehen, politisch bedingt, von zwei Millionen bis einigen hunderttausend weit auseinander; das Polizeipräsidium der Hauptstadt schätzte, dass sich anderthalb Millionen Menschen eingefunden hätten. Die Veranstaltung verlief friedlich und ohne Zwischenfälle, obwohl Orban von den Gegnern beschuldigt worden war, er spiele ein gefährliches Spiel, indem er «die Politik auf die Strasse» bringe.

Die Rede des Ministerpräsidenten, welche die letzten dreissig Minuten des anderthalbstündigen Programms ausfüllte, enthielt einen Appell, die sozialpolitischen Ergebnisse der sozialistischen Regierungszeit 1994 bis 1998 mit den letzten vier Jahren zu vergleichen. Orban wiederholte manches zuvor schon gebrauchte Argument, so auch die Behauptung, eine sozialistische Regierung wäre ein Kabinett des Grosskapitals. Ungarn habe das Kapital, auch das fremde Kapital, selbstverständlich nötig, doch dürften die Finanzwelt und die Regierung nicht identisch sein. Ausser diesem Hieb gegen den sozialistischen Spitzenkandidaten, den Bankier Medgyessy, enthielt die Ansprache keine persönlichen Angriffe.

Orban appellierte namentlich an die Bauernbevölkerung, trotz dem Niedergang der Kleinbauernpartei am Wahltag nicht zu Hause zu bleiben. Auch jene, die der Panikmache Glauben geschenkt und gegen dunkle Schreckensvisionen gestimmt hätten, sollten sich neu besinnen, sagte Orban unter Anspielung auf die extreme Rechte, die im ersten Wahlgang ausgeschieden ist. Die Gegner hätten das Bild eines halbfaschistischen, aus Europa ausgestossenen Ungarn an die Wand gemalt, während es sich nun gezeigt habe, dass die ungarischen Bürger weder rassistisch noch hasserfüllt seien. Der Regierungschef, der Entzweiung des Landes in zwei Lager oft bezichtigt, schloss seine Rede mit einem Bekenntnis gegen den Hass unter den Mitbürgern. Zugleich war das Bestreben an der Veranstaltung deutlich, die eigene Seite als die Verteidigerin der nationalen Sache darzustellen und den Wahlentscheid zu einer Schicksalsfrage Ungarns zu machen.


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Frankfurter Rundschau

Premier Orban malt den Teufel an die Wand

Vor der entscheidenden zweiten Runde der Parlamentswahlen tobt in Ungarn ein "virtueller Bürgerkrieg" um jede Stimme

Von Ulrich Glauber (Wien)

Seit seiner Niederlage in der ersten Runde der Parlamentswahlen vor einer Woche hat Ungarns Premier Viktor Orban die Attitüde des überparteilichen Landesvaters aufgegeben. Für die Entscheidung am Sonntag mobilisiert er die Straße und malt für den Fall einer Machtübernahme der Sozialisten (MSzP) den Teufel an die Wand.

Der Auftritt der älteren Dame wirkte rührend. Vor den Hunderttausenden, die am Samstag zur Kundgebung des regierenden Bundes der Jungdemokraten (FIDESz) vor das Parlamentsgebäude in Budapest gekommen waren, lobte sie den Ministerpäsidenten in höchsten Tönen und versprach, dessen Aufforderung zu folgen: "Ich werde zur Stichwahl gehen und bringe noch eine alte Freundin mit." Seit dem Scheitern der rechtsextremen Gruppierung MIEP von Istvan Csurka an der Fünf-Prozent-Hürde sieht sich FIDESz völlig auf sich alleine gestellt. Alles deutet auf eine Regierungsübernahme durch die MSzP und ihren linksliberalen Bündnispartner Bund der Freien Demokraten (SzDSz) hin. Orbans Hoffnung ist es, die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung von 71 Prozent noch einmal zu steigern.

Einbezogen werden für dieses Ziel selbst die Auslandsungarn. "Die Heimat ist in Gefahr", warnte Miklos Duray, Scharfmacher unter den Politikern der magyarischen Minderheit in der Slowakei, auf der FIDESz-Kundgebung in Budapest und sprach unverhüllt von der Zukunft von 15 Millionen Ungarn. Die Republik Ungarn hat zehn Millionen Einwohner. In der Slowakei, Rumänien und Jugoslawien läuten da die Alarmglocken. Auch Orban war auf der Massenkundgebung, zu der ein Spender Freifahrten per Bus und Bahn organisiert hatte, beim Ausmalen düsterer Feindbilder nicht zimperlich. Viele Wähler hätten FIDESz ihre Stimme nicht gegeben, weil die andere Seite unter Ausnutzung ausländischer Medien seit Monaten die Menschen mit "nicht existentem Rassismus und Antisemitismus" erschrecke. Dem rechtsextremen Csurka, der mit seinen Anhängern unter der MIEP-Parteifahne mitdemonstrierte, dürfte diese Anprangerung gefallen haben.

In der vergangenen Woche hatte sich Orban bei einer Brandrede auf einer FIDESz-Kundgebung in Buda noch heftiger der Csurka-Diktion bedient. Die Sozialisten stünden im Bündnis mit dem internationalen Finanzkapital, das nach ihrer Machtübernahme in Ungarn das Sagen haben werde. Auch den ungarischen Boden wollten die MSzP und ihr Partner SzDSz verkaufen, stellte der nationalkonservative Premier die Gegner in die Ecke derer, denen persönliche Interessen wichtiger sind als das Gemeinwohl. Das Versprechen der MSzP, die Rentner besser zu stellen, sei eine Lüge. Die Sozialisten wollten die Gaspreise um zwei Fünftel und die Zinsen für Wohnbaukredite um das Zweieinhalbfache erhöhen. Der parteilose MSzP-Spitzenkandidat Peter Medgyessy dementiert solche Unterstellungen ständig.

Angewidert fühlen sich viele Ungarn von einer Kampagne, die in Budapest bereits "virtueller Bürgerkrieg" heißt. E-Mails und SMS-Botschaften über Mobilfunk warnen für den Fall eines Regierungswechsels vor einer nationalen Katastrophe. Anonyme Flugblätter des gleichen Inhalts werden hinter Auto-Scheibenwischer gesteckt und tauchen in Kindergärten auf. Der sozialistische Ex-Premier Gyula Horn rief Orban in der Zeitung Nepszabadsag zur Mäßigung auf. "Ich kann ihre Enttäuschung verstehen", schrieb der Außenminister der Wendezeit. Aber anstatt mit dem "Feuer zu spielen", solle sich Orban für einen würdigen Abgang nach dem Beispiel seiner Vorgänger entscheiden.


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DER STANDARD (Wien)

Montag, 15. April 2002, Seite 4

Viktor Orbán: "Werdet ihr Ja sagen?"

Vor der ungarischen Stichwahl: Großkundgebung der Fidesz in Budapest

Gregor Mayer aus Budapest

Rund eine halbe Million Anhänger des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán strömten am Samstag aus dem ganzen Land nach Budapest. Nach der überraschenden Niederlage seines Bundes Junger Demokraten (Fidesz) gegen die Sozialisten in der ersten Runde der Parlamentswahlen vor einer Woche hat Orbán zu der Kundgebung aufgerufen. Bei der Stichwahl am 21. April müssten seine Kandidaten in 85 von den noch 131 offenen Wahlkreisen gewinnen, damit Fidesz an der Macht bleibt.

Das scheint unwahrscheinlich. Und der 38-jährige Jungstar der mitteleuropäischen Politik, der vier Jahre lang über das Land geherrscht hatte, kann sich mit dem drohenden Machtverlust nicht abfinden. "Wir sind viele, aber noch nicht genug", rief er der Menge zu, die "Viktor! Viktor!" skandierte und den Platz vor dem Parlament in ein Meer aus ungarischen Fahnen verwandelte. "Am Sonntag muss jeder von euch noch einen Menschen zur Wahl mitbringen", gab er die "Tagesaufgabe" für sein Wahlvolk aus.

Orbán wählte weniger aggressive Worte als bei seiner ersten Straßenkundgebung vergangenen Dienstag in Budapest, als er noch zur "Verteidigung der Heimat" aufgerufen hatte. Der politische Hauptgegner, die nun den Wahlsieg erwartenden Sozialisten (MSZP), bekamen freilich wieder ihr Fett als "Partei des Groß- und Finanzkapitals" ab. Doch an die Stelle eines gefährlichen Endkampfes für die "bürgerlichen Werte" trat nun eher der "Glaube an die Kraft des Zusammenschlusses und der Liebe".

Orbán redete sich am Samstag beinahe in die Rolle eines Sektenführers hinein. "Wir wollen die Einheit der Nation, das geht aber nur, wenn wir alle, unabhängig von der Parteistellung, ,Ja' sagen können. Am Sonntag haben wir die Wahl, ,Ja' zu sagen zu den bürgerlichen Werten. Werdet ihr ,Ja' sagen?" - "Ja, ja, ja!", tönte es ihm aus einer elektrisierten Menge entgegen.

Unterdessen zog im Hintergrund ein Schiff seine Bahnen auf der Donau. Darauf war ein Transparent angebracht: "Ungarn fürchtet sich nicht!" Die Aktion der Jungsozialisten spielte auf die Einschüchterungskampagne an, die von den Orbán-Anhängern nun auch in Schulen und Behörden getragen wurde.