Berliner Zeitung
Der unterschätzte KandidatFrank Herold
Als die ungarischen Sozialisten 1998 mit einer Riege von im Amt gealterten Reformpolitikern die Parlamentswahlen an den jungen, hyperdynamischen Konservativen Viktor Orban verloren hatten, begannen sie mit der Suche nach ihrem "Tony Blair". Der sollte mindestens ebenso attraktiv und zupackend wie Orban sein - aber eben eine linke Ausführung. Sie diskutierten und sie zankten sich, aber die Sozialisten fanden niemanden. So machte die alte Garde weiter. Aber wie immer, wenn gleich starke Kandidaten um die Macht kämpfen, trug eine vermeintlich schwache Kompromissfigur den Sieg davon: Der inzwischen fast 60-jährige Peter Medgyessy, obendrein formal parteilos, wurde Spitzenkandidat für die Wahl 2002.
Nun hat ausgerechnet er die ungarischen Sozialisten auf den Weg zurück an die Macht geführt. Obwohl in 14 Tagen noch ein zweiter Wahlgang ansteht, sind am Sonntag - wenn auch mit denkbar knappem Ergebnis - die Weichen für eine Koalition der linken Mitte aus Sozialisten und Freien Demokraten gestellt worden. Viele fragen sich, wie das, entgegen allen Umfragen, passieren konnte.
Medgyessy ist ein Mann, dessen öffentliche Auftritte und Reden an manchen Tagen so grau sind wie seine Anzüge. Deren Material aber - um in diesem Bild zu bleiben - ist erstklassig, ebenso wie die Reputation und die Kompetenz des diplomierten Volkswirts. Die Wähler haben das offenbar erkannt und höher bewertet als alle Argumente, die für seinen umtriebigen 38-jährigen Kontrahenten sprachen. Orban hatte immerhin das Land auf seinem Konsolidierungskurs vier Jahre lang ziemlich erfolgreich geführt.
Seit fast zwei Jahrzehnten genießt Medgyessy in internationalen Finanzkreisen hohes Ansehen. Schon in der Schlussphase des Kadar-Regimes Ende der 80er-Jahre war er als Vizepremier eine der Schlüsselfiguren des vorsichtigen Reformprozesses, der marktwirtschaftliche Elemente in den Staatsplan-Sozialismus einführte und das Land nach Westen öffnete. Zehn Jahre später schuf Medgyessy als Finanzministers mit einem strengen Sparprogramm eine der Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufschwung der nachfolgenden Orban-Jahre. Das vorsichtige Austesten des Handlungsspielraumes war immer eines der wesentlichen Kennzeichen von Medgyessys politischem Vorgehen. Auch darin ist er das genaue Gegenbild zu dem impulsiven Orban.
Der hatte, möglicherweise einer seiner Eingebungen folgend, alles auf die kompromisslose Konfrontation mit seinen linken und liberalen Gegnern gesetzt - und ganz offensichtlich überzogen. Mit Sorge sah man im Ausland, wie Orban jegliche Scheu vor nationalistischen Parolen und vor einer Annäherung an die extrem rechten, antisemitischen Kräfte des Landes verlor.
Unmittelbar vor dem Wahlgang muss auch eine knappe Mehrheit der Ungarn zu dem Schluss gekommen sein, dass Orban dabei war, den guten Ruf des Landes zu verspielen und womöglich noch die EU-Mitgliedschaft in Gefahr zu bringen. Anders lässt sich kaum erklären, dass die Konservativen eine schon gewonnen geglaubte Wahl doch noch verloren.
Der Tagesspiegel (Berlin)
Gute Gesellschaft
Ungarn hat gewählt
Im künftigen Kreis der EU gehört Ungarn mit zehn Millionen Einwohnern zu den kleineren Ländern. Der Ausgang der Parlamentswahl aber könnte dazu beitragen, ganz Europa zu verändern – und das nicht zum Besseren. Ministerpräsident Viktor Orban nämlich, der noch alle Chancen hat auf eine Wiederwahl, bewies in den vergangenen vier Amtsjahren oft genug, dass ihm Macht und Wählerstimmen mehr wert sind als Demokratie und Diplomatie. Wo es ihm nicht passt, schlägt der Budapester Monarch auch Urteile des Verfassungsgerichts in den Wind. Er nimmt die Medien an die Kandare. Er umgibt sich mit finanziell wohlgepflegten Höflingen, einer Art Prätorianergarde, und setzt Nationalismus zur Mobilisierung der Massen ein. Dass Orban, der Ungarn 2004 in die EU führen könnte, sich auch dieser eingliedern wird, ist unwahrscheinlich. Viel mehr verbindet ihn – in der Haltung zur EU, zu Macht und Demokratie – mit Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Die beiden bezeichnen sich als Freunde, beide bedienen gleich geschickt eine gigantische PR-Maschine, jenseits der alten Politkategorien von Links und Rechts, verführbar zu allem. In Österreich ist ein ähnlicher Politiker an der Macht: Jörg Haider. Auch in Tschechien droht mit Vaclav Klaus eine Gefahr dieser Art, ebenso vielleicht in der Slowakei. Das neue Europa? Früher hat dieser Slogan verheißungsvoller geklungen. pak
Frankfurter Rundschau
Wenn das siegesgewisse Lächeln plötzlich gefriert
Ungarn steht überraschend vor Machtwechsel / Oppositionelle Sozialisten nach Wahl vorne
Von Ulrich Glauber (Budapest)
Ministerpräsidenten haben es in Ungarn nicht leicht. Zum dritten Mal seit der Wende zum Parteienpluralismus 1990 steht ein Premier nach nur einer Legislaturperiode vor dem Aus. Ein knapper Wahlsieg der oppositionellen Sozialisten (MSZP) am Sonntag über den Bund der Jungdemokraten (FIDESZ) von Regierungschef Viktor Orban macht dieses Ergebnis des zweiten Wahlgangs am 21. April wahrscheinlich.
Dabei waren die überwiegend jungen und sichtlich gut betuchten FIDESZ-Getreuen in Siegeslaune zur Wahlfeier gezogen. Doch je weiter die Stimmauszählung fortschritt, die über Großleinwände übertragen wurde, desto länger wurden die Gesichter. Immer mehr schmolz der Vorsprung, den die national-konservative FIDESZ vor der MSZP zuerst hatte. Leicht befremdet quittierten die Demoskopen im ungarischen Fernsehen schließlich das Ergebnis von 42 Prozent für die MSZP und 41,1 Prozent für FIDESZ. Alle Meinungsforscher hatten die Regierungspartei zuvor mit Abstand vorne gesehen.
MSZP-Chef Laszlo Kovacs konnte sich im Triumph einen Seitenhieb auf den machtbewussten Orban nicht verkneifen. "Innerhalb von zwei Tagen hat Peter Medgyessy den Premier zweimal geschlagen", lobte Kovacs den sozialistischen Spitzenkandidaten. Im letzten Moment hatte sich der parteilose Finanzfachmann Medgyessy zur Annahme von Orbans Termindiktat entschlossen, der zu einem Fernsehduell ausschließlich am Vorabend des Wahlwochenendes bereit gewesen war. Der 59-jährige MSZP-Widersacher punktete gegenüber dem sonst so eloquenten Orban (38) mit den Versprechen, die verelendeten Rentner besser zu stellen und das maroden Gesundheitssystem zu reparieren. Was dem sozialistischen Kandidaten aber die Sympathien zufliegen ließ, war seine Kritik an dem "geistigen Bürgerkrieg", den vier Jahre FIDESZ-Regierung mit sich gebracht hätte. "Ich will Ministerpräsident von zehn Millionen und nicht von zwei mal fünf Millionen Ungarn sein", spielte Medgyessy auch am Wahlabend auf diese Polarisierung an.
Noch gibt sich Orban aber nicht geschlagen. Ungewohnt blass gab er Durchhalteparolen aus, als er am Sonntag kurz vor Mitternacht vor seine Fans trat. "Ab morgen werden wir hart arbeiten, um die Wahl in 14 Tagen zu gewinnen."
Die ehemals radikalliberale FIDESZ scheint jedoch Opfer ihrer Strategie zu werden, das rechte Lager aufzusaugen. Zwar erreichte die Partei ihr bisher bestes Ergebnis, aber es fehlen ihr Bündnispartner. Der einzig mögliche Unterstützer Istvan Csurka mit seiner fremdenfeindlichen Partei für Ungarische Wahrheit und ungarisches Leben (MIEP) scheiterte mit 4,4 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde.
Der designierte MSZP-Koalitionspartner Bund der Freidemokraten (SZDSZ) konnte dagegen mit 5,5 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament feiern. Spitzenkandidat Gabor Kunce und die MSZP-Führung kamen noch am gestrigen Montag zusammen, um Absprachen für eine gegenseitige Unterstützung bei den Stichwahlen zu treffen. Für die Gesellschaftswissenschaftler Elemer Hankis, Laslo Kery und Laszlo Lengyel steht ein Wahlgewinner schon fest. "Ein Sieg für die Demokratie gegen autoritäre Tendenzen", waren sie sich in einer Diskussion einig.
Frankfurter Rundschau
Wechsel aus Enttäuschung
Liberalisierung und Investitionen der Multis haben den wenigsten Ungarn eine spürbare Anhebung ihres Lebensniveaus gebracht
Von Ulrich Glauber
Vor der Stichwahl am übernächsten Sonntag ist Vorsicht geboten. Aber die Zahlen sprechen nach der ersten Runde der Parlamentswahlen in Ungarn dafür, dass die Opposition wie immer seit 1994 beste Chancen hat, die Regierung abzulösen.
Anders als früher ging es diesmal um eine Entscheidung zwischen zwei Blöcken - der national-konservativen Bürgerpartei von Premier Viktor Orban und dem sozialliberalen Bündnis der sozialistischen Partei mit dem Bund der Freien Demokraten. Mit einem inneren Zirkel von Politfreunden hat Orban das Parlament an den Rand gedrängt, für die Profilierung nach rechts das gute Verhältnis zu Nachbarstaaten durch Sonderprivilegien für die dort lebenden Auslandsungarn aufs Spiel gesetzt und öffentliches Geld in die Taschen seiner Klientel geleitet. Eine Mehrheit hat das mit Ablehnung quittiert.
Viele Ungarn sind enttäuscht. Liberalisierung und Investitionen der Multis haben den wenigsten eine spürbare Anhebung ihres Lebensniveaus gebracht - selbst dem unteren Mittelstand nicht, geschweige denn Rentnern oder Kranken mit durchschnittlichem Einkommen. Dass die fremdenfeindliche MIEP wohl nicht wieder ins Parlament einzieht, mag ein Zeichen demokratischer Reife sein. Sollte der ökonomisch beherrschende Westen die Transformationsländer über einen Leisten scheren, ihnen das Gefühl von Wirtschaftskolonien vermitteln und nicht sensibel auf die nationalen Eigenheiten Rücksicht nehmen, kann sich diese Haltung rasch ändern.
Die Welt
Ungarn erlebt eine dramatische Wahlnacht
Überraschender Sieg der oppositionellen Sozialisten. Bürgerliche können in Stichwahl noch aufholenVon Boris Kalnoky
Budapest - Nach einer denkwürdigen Wahlnacht stehen Ungarns Sozialisten (MSZP) als - vorläufige - Sieger der Parlamentswahlen fest. In der ersten Wahlrunde kamen sie auf 42 Prozent der Stimmen für die Landeslisten, der regierende, bürgerliche Bund der Jungen Demokraten (Fidesz) lag nur 0,9 Prozent dahinter. Als einzige kleinere Partei schaffte der linksliberale Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) mit 5,5 Prozent den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die rechtsextreme Partei des Rechts und des Lebens (Miép), deren Einzug ins Parlament lange Zeit befürchtet worden war, scheiterte mit 4,3 Prozent.
Auch bei den Direktwahlen hatten die Sozialisten die Nase vorn: In den insgesamt 176 Wahlkreisen errangen sie in der ersten Runde 25 Direktmandate, die Fidesz 20, die SZDSZ eines. In 130 Wahlkreisen kommt es jedoch am 21. April zur Stichwahl.
Rechnerisch haben die Konservativen damit noch eine Chance, aber selbst wenn sie mit den Stimmen der ausscheidenden kleineren rechten Parteien (Miép, Kleinlandwirte) ihr Ergebnis verbessern sollten, würde sich dadurch eher eine Situation der Unregierbarkeit als eine brauchbare Mehrheit ergeben.
Das ist auch die Auffassung der neugebildeten Zentrumspartei, die eigentlich bürgerlichen Werten zuneigt, in der zweiten Runde jedoch die Sozialisten unterstützen wird. Die Partei errang mit 3,9 Prozent bei ihrer ersten Wahl einen Achtungserfolg.
Die Sozialisten sind sich ihres Sieges so sicher, dass ihr Spitzenkandidat Peter Medgyessy bereits versprach, er werde als Regierungschef "nicht der Ministerpräsident von zwei Mal fünf Millionen, sondern von zehn Millionen Ungarn sein". Eine Geste der Versöhnung also nach einem Wahlkampf, der der erbarmungsloseste seit der Wende war und das Land stärker denn je polarisiert hat. Schon heute wollen die Sozialisten mit den Freidemokraten über die Regierungsbildung beraten, ohne die Stichwahlen abzuwarten.
Die großen Verlierer dieser Wahl waren allerdings die Meinungsforschungsinstitute. Sie hatten vor dem Urnengang einhellig die Bürgerlichen als stärkste Partei gesehen. Am Wahltag gab es keine Hochrechnungen, stattdessen veröffentlichten die Institute Umfragen, die sie in den drei letzten Tagen vor der Wahl geführt hatten. Auch diese Umfragen sahen einhellig die Konservativen als Sieger, mit einem Vorsprung von zwei bis neun Prozent. Wie es zu einer solchen Fehleinschätzung kommen konnte, darüber wird nun viel gerätselt.
Ebenso dramatisch wie der Wahlkampf war die Wahlnacht. Nach einer Rekordbeteiligung von 71 Prozent und langen Warteschlangen, in denen sieben Menschen tödliche Herzinfarkte erlitten, mussten die Ungarn wegen der fehlenden Hochrechnungen am Abend stundenlang den langsamen Fortschritt der Auszählung verfolgen. Und lange schien es so, als hätten die Meinungsforschungsinstitute ins Schwarze getroffen. Als 30 Prozent der Stimmzettel ausgewertet waren, lag Fidesz noch zwei Prozent vor den Sozialisten; die Freidemokraten lagen bei 4,5 Prozent und damit unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde.
Um 20.30 Uhr regierte Fidesz noch. Eine Stunde später, nachdem mehr als die Hälfte der Wahlzettel gezählt worden war, kippte der Trend. Nun stand fest, dass die SZDSZ Parlamentspartei würde, und das war bereits eine Vorentscheidung. Als dann auch noch die Sozialisten allmählich in Führung gingen, wurde es dramatischer, als irgendjemand gedacht hätte. Erst die letzten zehn Prozent der Wahlzettel brachten noch einmal einen spürbaren Schub zugunsten der MSZP, deren Vorsprung nun von 0,5 auf 0,9 Prozentpunkte anwuchs.
Am Ende errang also in gewisser Weise das Volk einen Überraschungssieg gegen die Meinungsforscher, die sich bis zur nächsten Wahl Gedanken machen müssen, ob sie alles wirklich richtig gemacht haben.
Zugleich wurde eine Konstante der ungarischen Demokratie bestätigt: Regierungen werden in Ungarn nicht wiedergewählt, egal um welche Partei es sich handelt, egal ob gut oder schlecht. Der seit 1998 amtierende Ministerpräsidenten Viktor Orban (38) wird nur noch schwer sein Ziel erreichen können, als erster Regierungschef seit der Wende in Ungarn wiedergewählt zu werden. Denn seither wurden alle Regierungen nach vier Jahren in die Wüste geschickt. Das mag den Vorteil haben, dass die nächste weiß, dass sie sich besonders viel Mühe geben muss.
Die Welt
Péter Medgyessy: ein sympathischer Banker
Doch der Weg des künftigen Premiers hat Brüche
Budapest - Wenn es so etwas wie einen sympathisch wirkenden Banker geben kann, dann ist das Péter Medgyessy. Sein jugendliches, frisches Auftreten, seine klare Stimme, die nie gestelzt wirkende, wirksam gehandhabte Rhetorik - das alles verleiht dem 59-Jährigen ein menschliches Image. Vielleicht war das sein Hauptvorteil im Wettkampf gegen den oft etwas überklug wirkenden, fast 20 Jahre jüngeren Viktor Orbán.
Er selbst gibt sich gerne nachdenklich, betont, wie schwer es sei, sich selbst zu kennen und über sich selbst zu reden. Er ist geschieden und wieder verheiratet, seine Karriere zeugt auch von Brüchen. Finanzminister unter der letzten reformkommunistischen Regierung vor der Wende, dann wieder Finanzminister unter der Sozialistischen Regierung von Gyula Horn. Als Reformkommunist arbeitete er ein markwirtschaftlich orientiertes Steuersystem aus, als Sozialist eine strenge Sparpolitik, deren Brutalität seinem Vorgänger den Kopf gekostet hatte. Medgyessy ging unbeschadet aus dieser Falle heraus.
Vor und nach seiner Zeit als Finanzminister war er Banker. Es mag seltsam scheinen, dass ein solcher Mann, noch dazu als Parteiloser, von Sozialisten zum Spitzenkandidaten erkoren und dann vom Volk gewählt wird. Medgyessy hat das mit einer raffinierten Aura geschafft, die Bescheidenheit, Mitgefühl und Unaufdringlichkeit mit Entschlossenheit und dem Anschein von Kompetenz verbindet. Dennoch bietet er als "Sozialist" viel Angriffsfläche. Er wird es in den nächsten vier Jahren schwer haben, zumal die Wirtschaft nicht mehr so stark wachsen wird. oky
taz (Berlin)
Ungarn vor Machtwechsel
Nach dem ersten Durchgang bei den Parlamentswahlen liegen die oppositionellen Sozialisten überraschend in Führung. Rechtsextreme scheitern an Fünf-Prozent-Hürde. Mit 71 Prozent höchste Wahlbeteiligung seit der Wende
GERGELY MÁRTON
BUDAPEST taz Spannender hätte der erste Durchgang der ungarischen Parlamentswahlen nicht sein können. Kurz nach der Schließung der Wahllokale hatten vier Forschungsinstitute am Sonntagabend das regierende Bündnis aus Fidesz und dem Ungarisch-Demokratischen Forum (MDF) bereits zum Sieger erklärt. Zwischen 2 und 10 Prozent sahen sie die Konservativen vor den Sozialisten. "Wir wollen keine Meinungsumfragen, sondern nur die Wahlen gewinnen", sagte der Vorsitzende der sozialistische Partei MSZP, Laszlo Kovacs.
Am Ende sollte er Recht behalten. Dank der überwältigenden Unterstützung der Großstädte landeten die Sozialisten mit 42 Prozent auf dem ersten Platz. Die regierenden Konservativen erhielten 41 Prozent. Nun hat der parteilose Spitzenkandidat der MSZP, Péter Medgyessy, gute Chancen, die vierte frei gewählte Regierung Ungarns zu bilden.
Budapest verhalf den liberalen "Bund freier Demokraten" (SZDSZ) zum Sprung ins Parlament. Die Partei schaffte landesweit mit 5,5 Prozent die 5-Prozent-Hürde. Größter Verlierer ist die rechtsextreme Partei der Gerechtigkeit und des Lebens (MIÉP). Sie verfehlte mit 4,4 Prozent den Einzug ins Parlament.
Größter Sieger dagegen ist die junge Demokratie Ungarns: 71 Prozent der Wahlberechtigten gaben am Sonntag ihre Stimme ab. Das ist die höchste Wahlbeteiligung seit der Wende. 1998 waren es nur 56 Prozent.
Wegen des komplizierten Wahlsystems steht der Sieger aber noch nicht eindeutig fest. Von den 386 Mandaten werden in 176 Direktwahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. 210 werden nach dem Verhältniswahlrecht verteilt. In 45 Bezirken erreichten Kandidaten schon im ersten Durchgang die absolute Mehrheit der Stimmen. Die Sozialisten siegten in 24 Bezirken, die Konservativen erhielten 20 Direktmandate. In einem Bezirk siegte der Kandidat der MSZP und der Liberalen.
In der Stichwahl am 21. April werden die Sieger der übrigen 131 Bezirke ermittelt. Die Sozialisten und Liberalen wollen in den kommenden Tagen ein Abkommen schließen. In den Bezirken, in denen die Kandidaten der Opposition zusammen die Mehrheit erhielten, einigen sich die beiden wohl auf einen Kandidaten. Ein vorläufiger Koalitionsvertrag hieße, dass die MSZP in rund 10 Bezirken, wo die Liberalen besonders stark sind, ihre besser platzierten Kandidaten aus dem Rennen nimmt. Die Liberalen würden dann im Gegenzug in etwa 50 Wahlbezirken ihre Politiker zurückziehen.
Das komplizierte System ermöglichte Fidesz 1998 den Sieg, obwohl die Partei nach dem ersten Durchgang nur auf Platz zwei lag. Diesmal sind aber die Bündnispartner des rechten Spektrums zu schwach für eine aussichtsreiche Unterstützung. Allein die gescheiterten Rechtsextremen könnten aushelfen. Premier Viktor Orbán hat wissen lassen, ihm wären Stimmen aus der fremdenfeindlichen Partei wilkommen.
taz Nr. 6720 vom 9.4.2002, Seite 11
Süddeutsche Zeitung
Machtwechsel gilt als wahrscheinlich
Schlappe für Ungarns Premier Orban
Regierungspartei unterliegt in erster Wahlrunde den Sozialisten
Von Kathrin Lauer
Budapest – In Ungarn kündigt sich nach der ersten Runde der Parlamentswahlen ein Machtwechsel an. Der Bund Junger Demokraten (Fidesz-MPP) des seit 1998 regierenden rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban unterlag überraschend in der ersten Runde der Parlamentswahl vom Sonntag der oppositionellen Sozialistischen Partei (MSZP) und ihrem Spitzenkandidaten Peter Medgyessy um weniger als ein Prozent. Die MSZP hat bereits erste Koalitionsverhandlungen mit der kleineren Liberalen Partei (SZDSZ) angekündigt. Die Liberalen wollen die Sozialisten schon bei dem in zwei Wochen bevorstehenden zweiten Wahlgang unterstützen. Zum befürchteten Bündnis zwischen Orbans Partei und der nationalistischen und antisemitischen Partei der Wahrheit und des Lebens (MIEP) von Istvan Csurka kommt es nicht, weil MIEP die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreicht hat.
Die Sozialisten lagen nach vorläufigen Ergebnissen mit 42,04 Prozent der Stimmen knapp vor Fidesz, die 41,12 Prozent erreichte. Meinungsforscher hatten für Fidesz einen Vorsprung von bis zu neun Prozent vorausgesagt. Die Liberalen schafften mit 5,56 Prozent knapp den Einzug ins Parlament. Sie waren bereits zwischen 1994 und 1998 Partner der damals regierenden Sozialisten. Die Wahlbeteiligung erreichte die Rekordmarke von 71 Prozent.
Medgyessy zeigte sich nach der Wahl siegessicher, dankte den Wählern und lobte ihre „Weisheit, Treue und Klarsicht“. Er betonte, „der Ministerpräsident aller zehn Millionen Ungarn“ werden und „die guten Initiativen“ der bisherigen Regierung „nicht ungeschehen“ machen zu wollen. Damit signalisierte er einen Integrationswillen, im Gegensatz zum Freund-Feind- Bild, auf das sein Rivale Orban gesetzt hatte. Medgyessy hatte sich in seinem Wahlkampf auf soziale Themen wie Kindergeld, Gesundheitsreform und Renten konzentriert und die von vielen kritisierte Arroganz und Klientelwirtschaft der Fidesz-Leute eher zurückhaltend behandelt.
Sichtlich betroffen vom Wahlausgang sagte Orban, in den nächsten zwei Wochen stehe „harte Arbeit“ bevor, um seine Anhänger für die zweite Wahlrunde zu mobilisieren. Orban hat sich zum Ziel gesetzt, in Ungarn als erster Ministerpräsident seit der Wende wiedergewählt zu werden. Das komplizierte Wahlrecht in Ungarn sieht vor, dass nur 152 der insgesamt 386 Parlamentssitze über Parteilisten vergeben werden. 176 Abgeordnete werden direkt in den Wahlkreisen gewählt und brauchen dazu eine absolute Mehrheit. Weil am Sonntag in 131 von 176 Wahlkreisen kein Kandidat mehr als 50 Prozent erreicht hat, müssen sich dort die drei bestplatzierten Bewerber am 21.April einer Stichwahl stellen.
Doch auch hier haben die Sozialisten gute Chancen. In 97 Kreisen liegen ihre Kandidaten auf Platz eins vor den Fidesz-Konkurrenten. Die in 103 Kreisen auf Platz drei liegenden Liberalen wollen durch Rückzug ihrer Kandidaten oder durch Absprachen den Sozialisten zum Sieg verhelfen.
Süddeutsche Zeitung
Im Profil
Peter Medgyessy Ungarischer Sozialist mit wenig Charisma und vielen Chancen
Michael Frank
Ein Ungar, so charakterisieren sich Magyaren gerne selbst, ist jemand, der nach einem anderen in die Drehtüre eintritt und vor ihm heraus kommt. Neben dem Stolz auf besondere Tüchtigkeit schwingt da auch das Eingeständnis mit, dass es beim Erfolg dennoch nicht immer ganz mit rechten Dingen zugehen kann. Peter Medgyessy, der nach seinem Sieg im ersten Wahlgang der nächste Ministerpräsident in Budapest werden dürfte, passt freilich so gar nicht in dieses Klischee: In der politischen Klasse Ungarns gilt der Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei (MSZP) als überaus geradlinig und seriös. Viele Ungarn halten ihn deshalb schlichtweg für einen Langweiler, wieder andere einfach für unerschütterlich.
Umso erstaunlicher, dass dieser Mann alle Chancen hat, im zweiten Wahlgang in 14 Tagen den amtierenden Premierminister Viktor Orban zu schlagen. Orban ist ein Genie in Public Relations, er weiß, mit dosierter Arroganz und fast herrischer Pose Tatkraft zu signalisieren. Ungarn mögen ein bisschen Kraftmeierei, und wenn Orban trotz seiner nur 38 Jahre und dem Image des ewigen Jugendlichen den Landesvater gab, schien das vielen glaubwürdig.
Der Premier und seine Jungdemokraten, so prophezeiten die Beobachter, würden wohl wegen der guten Wirtschaftsentwicklung und der Rolle des Landes als Musterknabe Mitteleuropas die Wahl knapp gewinnen. Die Regierung Orban schlug auch ein sozialstaatliches Tremolo an, obwohl sie mit wirtschaftsliberalen Parolen angetreten war. Gleichzeitig brachte sie den öffentlichen Dienst, von Diplomaten bis zur Polizei, auf ihre Seite, indem sie die Beamtenbezüge beträchtlich anhob.
Irgendwie scheinen sich die Ungarn dennoch daran erinnert zu haben, dass die Basis von Orbans Wohltätigkeit nicht selbst verdient war: Es war ausgerechnet Medgyessy, der als Finanzminister der sozialistischen Vorgängerregierung unter Gyula Horn eine harte, fast brutale Generalreform von Wirtschaft und öffentlichen Haushalten durchsetzte. Diese Reform bürdete den Bürgern beträchtliche Entbehrungen auf, gab aber gleichzeitig dem Land kräftigen Schub.
Die außenpolitisch auf besondere Korrektheit achtenden Sozialisten mochten sich auch der im Wahlkampf gerne intonierten Ungarntümelei nicht verschließen. Medgyessy bediente dieses Bedürfnis, indem er sich auf seine Herkunft aus Transsylvanien, dem mythischen Herzen allen Ungarntums im heute rumänischen Siebenbürgen berief (gleichwohl er in Budapest geboren ist). Der bald 60-jährige Medgyessy ist das Gegenteil eines Wendehalses: Er ist ein Geläuterter. Der einstige Kommunist leitete schon als Vizefinanzminister und dann als stellvertretender Regierungschef im letzten KP-Kabinett unter Nemeth den Wandel Ungarns ein. Würde der Mann, der vor gut einem Jahr beinahe aus Verlegenheit der Spitzenkandidat der MSZP wurde, wirklich Ministerpräsident von Ungarn, wäre dies ein seltener Fall von politischer Askese: Er ist bis heute kein Mitglied der Sozialistischen Partei. Vielleicht hat er gerade deshalb den ersten Wahlgang gewonnen.
DER STANDARD (Wien)
Dienstag, 9. April 2002, Seite 36
Reif für Europa
Ungarns Wähler haben sich gleich zweimal gegen den Trend entschieden
Gerfried Sperl
Zwei Trends wollten Beobachter der europäischen Szene nach den Wahlen in Portugal unterstützt sehen. Erstens jenen zu einer Ablöse sozialdemokratischer Regierungen durch rechtsgerichtete Konstellationen und zweitens den zu einer weiteren Stärkung der Rechtsradikalen und Rechtspopulisten.
Beides hat in Ungarn am Sonntag nicht stattgefunden. Über siebzig Prozent der Wahlberechtigten sind beim postkommunistischen Nachbarn zur Wahl gegangen, entgegen den Umfragen haben sie die Oppositionsparteien in der ersten Runde in Front gebracht. Und vor allem: Die offen antisemitische und rassistische Czurka-Partei wurde unter die 5-Prozent-Hürde gedrückt.
Es ist durchaus möglich, dass der bisherige Ministerpräsident Viktor Orbán in vierzehn Tagen trotzdem die relative Mehrheit an Parlamentssitzen erzielt. Zur Fortsetzung seiner Regierung wird das nicht reichen. Denn einen Koalitionspartner haben nur die Sozialisten, die unter einem parteilosen Banker, einer Art ungarischem Vranitzky, mit den Liberaldemokraten eine Achse bilden können.
Orbán, der in Ungarn eine Art CSU errichtet hat und mithilfe des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber auch auf absolutem Mehrheitskurs war, hat mit seiner eklatant rechtsgerichteten Politik etwas Gutes bewirkt. Er hat den Rechtsradikalen so viele Wähler weggenommen, dass diese es (und das war ja seinerzeit das Konzept von Franz Josef Strauß) nicht mehr bis ins Parlament schafften. Für den Machterhalt freilich hat er zu viele an sich gezogen, für die internationale Reputation Ungarns gerade genug.
Die extremistische Bedrohung bleibt bestehen: Politik und Medien sind von einem Geist der Verharmlosung, ja sogar Billigung rechtsradikaler Methoden durchsetzt. Man wird sie nur langsam, wenn überhaupt, zurückdrängen können, weil sie einer Grundtendenz der ideologischen Landschaft Mitteleuropas entsprechen. Von Miskolc bis Mailand und von Krakau bis Florenz kippt der Patriotismus immer wieder um in Nationalismus und Fremdenneid.
Für Orbán mag es bitter sein, gerade jetzt sein Land nicht höchstpersönlich in die EU führen zu können. Aber möglicherweise war er zu abgehoben: neoliberal infiziert und vom westlich-ökonomischen Jetset fasziniert, um ernst zu nehmen, dass es zwei Ungarn gibt. Jenes im Westen zu Österreich hin, mit der Hauptstadt Budapest als internationalem Aushängeschild. Und das östliche Ungarn mit einer nach wie vor desolaten Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit, deren Realität und Auswirkungen auch in den Hinterhöfen und an der Peripherie der Metropole der Magyaren zu besichtigen sind. Hier liegt das größte Problem des Landes.
Ob das ungarische Ergebnis internationale Bedeutung hat, wird sich erst erweisen. Jedenfalls haben die großen Zeitungen der angelsächsischen Welt auf ihren ersten Seiten am Montag noch nichts über Ungarn berichtet - Zu exotisch? Zu wenige Faschisten? Zu ruhig?
Aber möglicherweise sind die Ungarn im Blick auf Prioritäten gar nicht so verschieden von anderen Völkern. Sie bevorzugen den Machtwechsel. Weshalb dieses Ergebnis im Blick auf die französischen Präsidentschaftswahlen, auf die tschechischen und slowakischen Parlamentswahlen und auf die Bundestagswahlen in Deutschland keine dauerhafte Präferenz für eines der großen europäischen Parteienlager signalisiert, sondern eine Neigung zu Alternativen.
Daher die vielleicht wichtigste Botschaft nach dem ersten Durchgang der Wahlen im west-östlichen Korridor: Ungarn ist nicht nur reif für Europa. Die Zahl der möglichen Argumente gegen die EU-Erweiterung ist weiter geschrumpft. Die Regierung Orbán hat die Beitrittsverhandlungen zügig geführt und sensible Fragen ohne falschen Stolz beantwortet. Sowohl die politischen Führungen als auch die Bevölkerung in Tschechien und in der Slowakei sind jetzt gefordert, ähnlich vorbildhaft zu agieren.
DER STANDARD (Wien)
Dienstag, 9. April 2002, Seite 36
KOPF DES TAGES
Péter Medgyessy, siegreicher Spitzenkandidat der Sozialisten.
Mit Sachverstand und bekannt "ruhiger Hand"
Gregor Mayer
Der Wirtschaftspolitiker Péter Medgyessy wurde im vergangenen Sommer von der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) zu ihrem Spitzenkandidaten für die Parlamentswahl 2002 gekürt. Sachverstand und eine "ruhige Hand" waren Medgyessys meistgenannte Attribute. Die Sozialisten erhofften sich, dass dies ausreichen würden, um den jungen redegewandten, aber auch selbstherrlichen konservativen Premier Viktor Orbán herauszufordern.
Doch Medgyessy machte im rauen Politalltag zunächst keine gute Figur. Der ältere Gentleman wirkte im lärmenden Getriebe der ungarischen Innenpolitik wie ein grauer Buchhalter. Manieren hatte er, Noblesse auch, Sachverstand ohnehin, aber Feuer der Begeisterung wollten nicht von ihm ausstrahlen, und zu lächeln fiel ihm ganz schwer. Sieht so ein Sieger aus?
Doch irgendwie kam der Mann auf seine Art in Schwung. Nach langem Gezerre kam es am Freitagabend vor dem Urnengang doch zu einem TV-Duell mit Orbán. Viele seiner Anhänger befürchteten ein Schlachtfest für den "Tiger", als welcher der angriffslustige Premier im politischen Bestiarium des bekannten Publizisten László Lengyel figuriert. Doch Medgyessy lief zur Hochform auf: Er konnte auf einmal lächeln, vermochte durch schlichte Worte auf Verstand und Herzen der Seher zu wirken und brachte Orbán gehörig in Verlegenheit.
Der 1942 geborene Medgyessy studierte an der Budapester Wirtschaftsuniversität Politische Ökonomie und trat danach ins Finanzministerium ein. In den 70er-Jahren wurde hier vorsichtig an den Reformen geschmiedet, die Ungarn noch unter dem Kommunismus in eine Vorreiterrolle bei der Transformation brachten. 1986 wurde er Finanzminister, kurz darauf stellvertretender Ministerpräsident in der letzten kommunistischen Regierung. Als sich nach der Wende 1990 aus dem Reformflügel der kommunistischen Partei die MSZP formierte, trat er dieser nicht bei, sondern ging in die Privatwirtschaft.
Es folgten Generaldirektors- posten bei der ungarischen Tochter der französischen Paribas-Bank und bei der Budapester Inter-Európa-Bank. Unterbrochen wurde diese Finanzkarriere durch zwei Jahre als Finanzminister in der sozialistisch-liberalen Regierung von Gyula Horn (1997- 1998). Medgyessy gestaltete die seinerzeit anerkannte, von Orbán wieder zurückgenommene Pensionsreform, die ein Element der privaten Eigenkapitalvorsorge in das ansonsten staatliche Verteilungssystem einführte.
Medgyessy, der in zweiter Ehe verheiratet ist und zwei Kinder aus erster Ehe mitbrachte, hat in László Lengyels Bestiarium noch keinen Platz gefunden. Der - vorläufige - Bezwinger des Tigers ist jedenfalls ein stilles Wasser.
Neue Ruhr Zeitung
Gefallen am Gegensteuern
Überraschung beim ersten Wahlgang, doch es gibt gute Gründe, die das Ergebnis erklären.
HANS-JOACHIM DECKERT
WIEN/BUDAPEST. Es gibt, gute Gründe dafür, das unerwartete Resultat des ersten ungarischen Wahlgangs zu erklären. Dennoch ist die Überraschung groß. Gegen den Charme des seit vier Jahren amtierenden Premierministers Viktor Orban schien kein Kraut gewachsen zu sein, am wenigsten auf der dürren Weide der früheren Staatspartei. Dort konnte der Banker und ehemalige Finanzminister Peter Medgyessy den Wählern zum x-ten Mal die Lehre von Investition und Produktivität, Zins und Multiplikator erläutern, es wurde doch nichts anderes gedruckt als - er sei zwar kompetent, aber schrecklich hölzern. Dennoch liegt er jetzt vorn.
Bisher galt Orban doch als ein ganz anderer Kerl, einer, der den seriösen Regierungschef geben kann und auch den glamourösen Führer aller Ungarn drinnen und draußen. So hieß es, er sei der Favorit. Das mag ja alles noch stimmen, weil am 21. April beim zweiten Wahlgang die Leute Orbans den hauchdünnen Trend umdrehen könnten. Aber die Warnzeichen gegen den bisherigen Kurs sind unverkennbar.
Die Tücken des Wahlgesetzes sind zwar nicht zu übersehen, aber falsch eingeschätzt worden. Die Gelegenheit schien gekommen, die ausgewucherte Parteienlandschaft zurückzuschneiden. Dass es aber beim Drei-Parteien-System enden, dass auch die MIEP, die "Lebens- und Gerechtigkeitspartei" des Demagogen und Antisemiten Czurka von der 5 %-Klausel getroffen werden könnte, das hatte niemand vorausgesagt.
Wozu hat Orban nun seine Partei, die einst so jugendliche, antiklerikale, antispießbürgerliche Fidesz-Partei zur offen nationalistischen Madyaren-Bewegung in Marsch gesetzt? Rechts von ihm ist nur noch Wüste. In der Mitte aber sammelt sich bisher missachtetes Material, das sich diesmal noch nicht durchgesetzt hat, mit dem aber künftig zu rechnen ist. Und die früheren Verwandten, die Liberalen, tragen keine Bedenken, mit Gyula Horns Staatspartei zusammen zu gehen. Die ungarischen Sozialisten können heute nicht mehr als Tarnkappenkommunisten denunziert werden. Ihre Wiederkehr hat nichts mit einer Rückwärtswende zu tun. Orban hätte sein Reformprogramm nicht so lauthals verfolgen können, wenn ihm nach der Wende die Sozialisten mit ihrem strikten, unbedankten Sparkurs nicht die Plattform geschaffen hätten. Auch wenn er die Kurve zum Premier noch einmal kriegen könnte, er wird mehr Bedacht auf eine gleichmäßige Entwicklung des Landes nehmen müssen. (NRZ)
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Pendelschwung in Ungarn
Von Matthias Rüb
Die Ungarn sind sich treu geblieben - und haben abermals den Wechsel gewählt. Seit den ersten freien Wahlen 1990 hat zwar jede Regierung trotz mancher Krisen die volle Legislaturperiode überstanden, aber nicht die folgenden Wahlen. Auf den konservativen Ministerpräsidenten József Antall folgte 1994 der Sozialist Gyula Horn. Der wurde 1998 vom konservativen Viktor Orbán abgelöst, und der fand am Sonntag in dem parteilosen Spitzenkandidaten der Sozialisten, Péter Medgyessy, seinen Meister. Zwar wird über die endgültige Zusammensetzung des Parlaments erst bei der Stichwahl vom 21. April entschieden. Doch alles spricht dafür, daß die im ersten Wahlgang siegreichen Sozialisten zusammen mit den Linksliberalen die Regierung werden bilden können. Denn auch dies gehört in Ungarn zum Gesetz der Serie: Der eigentlich überflüssige zweite Wahlgang, bei dem die Wähler über die meisten Direktmandate entscheiden, hat stets die Tendenz des ersten bestätigt und verstärkt.
Wenn zum Wesen der Demokratie der Wechsel gehört, dann ist der ebenmäßige Pendelschwung in der Wählergunst ein Ausweis für die demokratische Reife der Ungarn. Für diese Reife spricht auch ein zweiter Aspekt des Wahlergebnisses vom Sonntag: Die ungarischen Wähler honorieren es nicht, wenn einer Regierung das Regieren zu Kopfe steigt und man hinter fadenscheinigen Parolen von historischen Erfolgen gar zu leicht die Arroganz der Macht erkennen kann.
Natürlich gibt es vielfältige Gründe für die Abwahl der national-konservativen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán. Der strategische Kardinalfehler Orbáns war zugleich das Geheimnis seines Erfolges. Mit Macht haben Orbán und seine Parteisoldaten die Flurbereinigung der politischen Landschaft betrieben. Auf der Rechten wurden alle Kleinparteien aufgesogen oder pulverisiert, sofern sie sich - wie die Partei der Kleinlandwirte - nicht selbst zerstörten. Den Sozialisten traute man eine stabile, aber im wesentlichen stagnierende Wählerschaft zu. Deshalb wurde eine aggressive Ausgrenzungskampagne gegen die stärkste Kraft der Opposition betrieben - in der Hoffnung, das eigene Potential durch Wähler von der Mitte bis zum äußersten rechten Rand vergrößern zu können. Der rechtsextremen und offen antisemitischen Gerechtigkeits- und Lebenspartei gegenüber waren die Konservativen dagegen gefährlich aufgeschlossen. Man hätte sie gerne als Mehrheitsbeschaffer im Parlament, wenn auch nicht als Koalitionspartner gehabt. Doch den Rechtsextremen gelang, anders als 1998, nicht mehr der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament - auch dies ein Zeichen der demokratischen Reife der ungarischen Wähler.
Ergebnis des Lagerwahlkampfs jedenfalls ist eine bipolare Parteienlandschaft mit einer fast ausgetrockneten Mitte, in der sich mit Mühe allenfalls die Linksliberalen behaupten können. Orbáns Rechnung aber ging nicht auf: Es waren die Sozialisten, die unter den unentschlossenen Wählern "abräumten", während die Rechten keine Reserven mehr mobilisieren konnten. Der Versuch, mit einer Haßkampagne - auch der Vorwurf "Vaterlandsverräter" gehörte dazu - die sozialistische und linksliberale Opposition samt ihren Anhängern sozusagen aus der ungarischen Nation auszuweisen, hat nicht nur für die Regierung, sondern für das ganze Land verheerende Folgen gehabt. Seit dem Wendejahr 1989 war die Stimmung in Ungarn nicht so vergiftet wie derzeit. Das gebetsmühlenartige Beschwören der Nation in parteipolitischer Absicht hat das Volk gespalten; jedenfalls nicht das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Dies zu reparieren wird eine der vornehmsten, aber auch lösbaren Aufgaben der neuen Regierung sein. Denn in Wahrheit trennt die verfeindeten Lager viel weniger, als die konservativen Jungtürken glauben machen wollten.
Es verbindet die Menschen auf der Rechten wie der Linken zum Beispiel der Wunsch, daß sich das vielbesungene ungarische Wirtschaftswunder endlich auch sichtbar in ihren Portemonnaies niederschlagen möge. Zwar hat Ungarn seit Jahren ein stabiles Wachstum weit über dem EU-Durchschnitt, eine sinkende Inflations- und eine dauerhaft niedrige Arbeitslosenrate. Doch die Kaufkraft der Bevölkerung wächst nur langsam, jedenfalls nicht so rasch wie die Last der Steuern und Abgaben. Lehrer und Erzieher, die Angestellten im Gesundheitswesen, auch die Rentner gehören bisher nicht zu den Gewinnern des Systemwechsels. Praktisch alle Parteien haben versprochen, die Steuern zu senken, und die künftige Regierung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie dieses Versprechen hält. Dann gilt es, die großen gesellschaftlichen Reformprojekte endlich anzupacken: das heruntergekommene und teure Gesundheitswesen umzubauen, die Bildungschancen für alle zu verbessern, die Renten für künftige Generationen zu sichern. Weil das Zeitalter der Transformation noch nicht abgeschlossen, weil der Umbau der Institutionen und der Abschied von alten Mentalitäten noch nicht vollständig ist, braucht die ungarische Gesellschaft auch in den kommenden Jahren einen breiten Konsens und eben nicht einen tiefen Dissens. Versöhnung tut not, Revanchelust schadet allen.
Das gilt auch deshalb, weil dem Land in der kommenden Legislaturperiode ein historischer Schritt bevorsteht: der Beitritt zur EU. Mag sein, daß es eine Ironie der Geschichte ist, daß Ungarn nun auch die Mitgliedschaft zur EU 2004 ausgerechnet unter Führung einer Partei erreicht, die aus dem Reformflügel der kommunistischen Staatspartei hervorgegangen ist. Weil aber in einer Demokratie jede Regierung auf den Leistungen ihrer Vorgängerin aufbaut, kommt es nicht darauf an, unter wessen Führung der letzte Schritt getan wird. Die entscheidende Leistung hat ohnedies das ungarische Volk erbracht, das seit mehr als tausend Jahren zur europäischen Völkerfamilie gehört.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2002, Nr. 82 / Seite 1
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kraft der Ruhe
MATTHIAS RÜB
Die Kaft der Ruhe hat gegen die aggressive Dynamik, die Erfahrung gegen die Aufbruchstimmung der "Berufsjugendlichen" gewonnen. Péter Medgyessy, 59 Jahre alt, parteiloser Spitzenkandidat der ungarischen Sozialisten, dürfte nach der Stichwahl am 21. April neuer Ministerpräsident Ungarns werden. Er löst den erst 38 Jahre alten Viktor Orbán ab, der vor vier Jahren als einer der jüngsten Regierungschefs Europas mit seiner Bürgerlichen Partei an die Macht gekommen war.
Doch ein Zeichen dafür, daß die Ungarn bei der vierten freien Wahl seit 1990 das Alter der Jugend vorziehen, ist der Sieg Medgyessys nicht. Als sich die oppositionellen Sozialisten im vergangenen Jahr nach mancherlei Machtkämpfen in der Partei auf Medgyessy als Kandidaten für das Amt des Regierungschefs einigten, taten sie das in dem Bewußtsein, daß man Orbán, einen der fähigsten Politiker des Landes, nicht mit einem "zweiten Orbán" schlagen kann. Der Herausforderer mußte sich vom Amtsinhaber klar unterscheiden. Deshalb nominierten die Sozialisten Medgyessy, und das war, wie sich am Sonntag zeigte, die richtige Entscheidung. Der schlanke Mann mit den schütteren Haaren ist das Gegenteil eines Volkstribuns und Einpeitschers.
Medgyessy war in den achtziger und neunziger Jahren einer der Architekten des wirtschaftspolitischen Reformkurses der damaligen Staatspartei. Von 1987 bis 1990 war er stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister der letzten reformkommunistischen Regierung unter Miklós Németh. Medgyessy und seine Mitstreiter schufen noch vor der Wende von 1989 mit einer faktisch marktwirtschaftlichen Finanz-, Steuer- und Bankengesetzgebung die Voraussetzungen für den Umbau der ungarischen Gesellschaft. Wenn er auf seine mehr als zwei Jahrzehnte im Finanzministerium zurückschaue, "dann gibt es nichts, wofür ich mich aus fachlichen Gründen zu schämen hätte", sagt Medgyessy. Und das sehen offenbar auch mehr als 42 Prozent der ungarischen Wähler so, die am Sonntag die Sozialisten zur stärksten Partei gemacht haben.
Medgyessy wurde am 19. Oktober 1942 als Sohn eines Anwalts aus Klausenburg (ungarisch Kolozsvár, rumänisch Cluj) im westrumänischen Siebenbürgen, der als hoher Beamter in die ungarische Hauptstadt gerufen worden war, in Budapest geboren. Er wuchs in Bukarest auf, wo sein Vater an der ungarischen Botschaft tätig war. Dort lernte er nicht nur rumänisch und französisch, sondern entdeckte seine Zuneigung zur französischen Kultur. 1950 kehrte die Familie nach Budapest zurück. Nach dem Abitur 1961 am Petöfi-Gymnasium studierte Medgyessy an der Karl-Marx-Universität für Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Diplom 1966 ging er ins Finanzministerium.
Nach dem Wahlsieg der Konservativen bei den ersten freien Wahlen 1990 übernahm Medgyessy die Leitung der ungarischen Niederlassung der französischen Großbank Parisbas. Seinen Vorsatz, nicht mehr in die Politik zurückzukehren, warf er 1996 um, als ihn der 1994 gewählte sozialistische Ministerpräsident Gyula Horn an die Spitze des Finanzministeriums rief. Nach dem neuerlichen Regierungswechsel 1998 und dem Machtantritt Orbáns wurde Medgyessy Vorstandsvorsitzender der Budapester Inter-Europa Bank und gründete gemeinsam mit seiner zweiten Frau Katlin eine Beratungsfirma. Medgyessy hat aus erster Ehe zwei erwachsene Kinder und ist zudem zweifacher Großvater.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2002, Nr. 82 / Seite 12
Die Presse (Wien)
Ein Technokrat als lachender Dritter
Politiker, Banker und Ungarns Premier?
Prognosen gaben ihm keine Chance, Medien schrieben ihm vieles zu: Hölzern, tech nokratisch, ex-kommunistisch, parteilos. Seit Sonntag kann Peter Medgyessy hoffen, nächster Regierungschef in Ungarn zu werden.
Von unserem Korrespondenten PETER BOGNAR
Vor wenigen Tagen überraschte Peter Medgyessy, Spitzenkandidat der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) sein Publikum: Plötzlich war er beim TV-Duell mit Viktor Orbán schlagfertiger als erwartet. Dabei waren ihm bei der Fernseh-Konfrontation mit dem als charismatisch geltenden Orbán wie auch beim ersten Wahldurchgang am Sonntag kaum Chancen eingeräumt worden. Denn Peter Medgyessy, fügt sich so gar nicht in das Bild eines modernen Medien-Politikers. Vielmehr wirkt er in seinen öffentlichen Auftritten hölzern und ungelenk.
Aus Siebenbürgen
Medgyessy war erst im Vorjahr nach heftigen Querelen als Spitzenkandidat der MSZP für diese Wahl gekürt worden, also quasi als lachender Dritter aus den Kämpfen zwischen den Alt-Linken aus der kommunistischen Ära und den Jungen mit sozialdemokratischen Ambitionen hervorgegangen. Er hat Regierungserfahrung in der kommunistischen Ära, er hat Regierungserfahrung von 1996 bis 1998 - und ist dennoch parteilos.
Peter Medgyessy stammt aus einer ungarischen Familie im rumänischen Siebenbürgen. Nachdem er seine ersten Schuljahre in Bukarest verbracht hatte, zog die Familie nach Ungarn, wo er das Gymnasium und späterhin die Wirtschaftsuniversität in Budapest besuchte. Nach dem abgeschlossenen Studium der Volkswirtschaftslehre, arbeitete Medgyessy zwanzig Jahre lang im Finanzministerium unter dem damals herrschenden kommunistischen Regime Janos Kadars.
Dort war er unter anderem in den Hauptabteilungen für Volkswirtschaft und internationale Finanzen tätig. Später leitete er die für den Staatshaushalt zuständige Hauptabteilung und war kurzzeitig stellvertretender Finanzminister. 1987 wurde er schließlich zum Finanzminister ernannt. Als dieser beteiligte er sich maßgeblich an einer umfassenden Steuer- und Bankreform.
Zwischen 1988 und 1990 war er stellvertretender Ministerpräsident im reformkommunistischen Kabinett von Miklos Nemeth. Vornehmlich mit wirtschaftlichen Aufgaben betraut, trieb er in dieser Zeit nicht zuletzt die wirtschaftliche Liberalisierung des Landes voran. Nach der demokratischen Wende 1989/90 zog er sich aus der Politik zurück und wechselte in den Banksektor.
Der sozialistische Ministerpräsident von 1994 bis 1998, Gyula Horn, holte Medgyessy aber wieder in die ungarische Politik zurück und ernannte ihn 1996 zum Finanzminister. In dieser Funktion setzte Medgyessy nicht zuletzt das von seinem Vorgänger, Lajos Bokros, begonnene rigide Austeritätsprogramm zur Sanierung des Staates fort. Nach der Wahlniederlage der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) im Jahr 1998 ging Medgyessy neuerlich ins Bankwesen zurück.
Deshalb fand er sich auch vor wenigen Monaten am Pranger wieder: Er soll 1998 beim staatlichen Verkauf eines Altbaus in der Budapester Innenstadt eine große Summe für seine Vermittlung kassiert - und somit seine einflußreiche Position zur persönlichen Bereicherung ausgenützt haben. Staatsanwaltschaft und Polizei ermittelten. Die Affäre wurde noch gewürzt mit einem "Budapestgate", also einem Einbruch in seinem Büro. Seit Sonntagabend scheint das kein Thema mehr zu sein.
Der heute 59-Jährige ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, Ildikó und Gergely.
Die Presse (Wien)
Wahlbeteiligung als "Sieg der Demokratie"
Mit knappem Vorsprung geht die Sozialistische Partei in Ungarn in die zweite Runde der Parlamentswahlen. Die radikale Rechte verfehlt den Einzug.
Von unserem Korrespondenten PETER BOGNAR
BUDAPEST. Der erste Wahlgang der vierten freien Parlamentswahlen in Ungarn endete mit einem knappen Sieg der Sozialisten (MSZP) vor der Ungarischen Bürgerpartei (Fidesz-MPP). Die MSZP errang 42,03 Prozent der Stimmen, die Fidesz 41,11 Prozent. Als dritte Partei schaffte der linksliberale Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) den Sprung ins Parlament. Er erreichte 5,56 Prozent der Stimmen.
Die restlichen Parteien blieben unter der Fünf-Prozent-Hürde und werden in der nächsten Legislaturperiode nicht im Parlament vertreten sein. Das betrifft die rechtsextreme Partei der Wahrheit und des Lebens (MIÉP), die mit 4,36 Prozent der Stimmen den vierten Platz erreichte und die erst vor wenigen Monaten gegründete Zentrum-Partei (Centrum), die mit 3,89 Prozent fünfte wurde. Der in den vergangenen vier Jahren größte Koalitionspartner der Fidesz-MPP, die Unabhängige Kleinlandwirtepartei (FKgP), kam nicht über ein Prozent der Stimmen hinaus.
In den 176 Einzelwahlkreisen konnten bereits 46 Kandidaten nach der ersten Runde die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen und ins Parlament einziehen. Darunter sind 27 Kandidaten der MSZP und 19 Kandidaten der Fidesz-MPP. Das ist insofern bemerkenswert, als dieses Kunststück bei den vergangenen beiden Wahlen nur einer äußerst geringen Zahl von Kandidaten gelang.
In den Einzelwahlkreisen scheint die MSZP im Vergleich zu der Fidesz-MPP die größeren Reserven zu haben. Mit Blick auf die enorme Bedeutung der drittplazierten Kandidaten in den Einzelwahlkreisen können die Sozialisten sowohl mit der SZDSZ, die in mehr als hundert Wahlkreisen einen Kandidaten an der dritten Stelle hat, als auch mit der Centrum-Partei über einen Rückzug von deren Kandidaten zugunsten der MSZP verhandeln.
Bereits in der Wahlnacht haben führende Politiker der MSZP und des SZDSZ angekündigt, sich in den kommenden Tagen an einen Tisch zu setzen und "strategische Verhandlungen" für die zweite Wahlrunde zu führen. Demgegenüber kann die Fidesz-MPP lediglich auf etwa zwei Dutzend MIÉP-Kandidaten zurückgreifen, die sich in einzelnen Wahlkreisen nach der ersten Runde an der dritten Stelle befinden.
"Triumph der Demokratie"
Als einen "Triumph der Demokratie" haben nahezu alle Politiker die diesmal hohe Wahlbeteiligung bezeichnet. Mit mehr als 71 Prozent ist sie die höchste in der demokratischen Geschichte Ungarns seit 1990. So gingen im Vergleich dazu bei den Parlamentswahlen 1998 lediglich 56 Prozent der wahlberechtigten Bürger im ersten Wahlgang wählen.
Die ersten Reaktionen der Parteien auf die Wahl spiegelten ihr Ergebnis wider. Der Vorsitzende der MSZP, Laszlo Kovacs, erklärte, daß der Weg für einen "sozialdemokratischen Wandel" nun offen sei. Peter Medgyessy, der Spitzenkandidat der MSZP, sagte, er verneige sich vor den Wählern für ihre "Weisheit, Treue und Klarsicht". Ministerpräsident Viktor Orbán von der Fidesz-MPP versuchte, die positiven Seiten des ersten Wahldurchgangs hervorzuheben. Er betonte, daß die bürgerlichen Kräfte in Ungarn seit der demokratischen Wende noch nie ein derart gutes Wahlergebnis erzielt hätten. Mit Blick auf den Rückstand der Fidesz-MPP auf die MSZP verwies Orbán darauf, daß seine Partei bei den letzten Parlamentswahlen vor vier Jahren sogar einen Rückstand von vier Prozentpunkten auf die Sozialisten noch aufgeholt hätte.