Frankurter Allgemeine Zeitung
Konservativer Staubsauger
Ungarns Ministerpräsident Orbán hat seine Konkurrenten auf der Rechten ausgespielt / Von Matthias Rüb
BUDAPEST, 4. April. In Ungarn finden am 7. und am 21. April die vierten freien Wahlen seit der Wende von 1989 statt. Es könnte sein, daß die Ungarn zum ersten Mal nicht die Opposition an die Macht wählen, sondern eine Regierung im Amt bestätigen. Doch selbst wenn die national-konservative Regierung von Ministerpräsident Orbán an der Macht bleibt, wird sie eine andere als bisher sein. Zwar sind Voraussagen der Meinungsforschungsinstitute in Ungarn mit großer Vorsicht zu genießen, als sicher kann aber gelten, daß der wichtigste Koalitionspartner Orbáns seit 1998, die national-konservative Partei der Kleinlandwirte (FKgP), an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. Vor vier Jahren war sie mit knapp 14 Prozent der Stimmen noch zur drittstärksten politischen Kraft geworden. Zugrunde gerichtet wurde sie von ihrem exzentrischen Führer József Torgyán. Er hat aus der Partei und dem von ihm geführten Landwirtschaftsministerium einen Familienbetrieb gemacht und ist von Skandal zu Skandal getaumelt. Ministerpräsident Orbán ließ seinen Königsmacher Torgyán, ohne den er keine Mandatsmehrheit im Parlament zustande gebracht hätte, lange gewähren.
Den Niedergang der FKgP, einer Wiedergründung der stärksten politischen Kraft Ungarns der Zwischenkriegszeit, sah er mit Wohlgefallen: Das stabile Wählerpotential der national-konservativen, christlichen Traditionen verbundenen Kleinlandwirte kann er für seine eigene Partei gut gebrauchen. Orbán hatte schon Mitte der neunziger Jahre aus dem linksliberalen, ja libertären und antiklerikalen Bund der Jungdemokraten (Fidesz), an dessen Gründung er 1988 beteiligt war, die Ungarische Bürgerliche Partei (MPP) gemacht, die das alte Kürzel fast verschämt noch als Anhängsel trägt. MPP-Fidesz zeigt sich seither als Hüterin der nationalen Traditionen, als Partnerin der Kirche und damit auch als neue politische Heimat der politisch heimatlos gewordenen FKgP-Anhänger.
Auch eine weitere konservative Partei existiert faktisch nicht mehr. Das Demokratische Forum (MDF), vom ersten frei gewählten Ministerpräsidenten József Antall 1988 gegründet und zwei Jahre später zur Macht geführt, kam schon bei den Wahlen 1998 nur huckepack getragen von MPP-Fidesz ins Parlament. Heute ist das MDF, das für die Wahlen mit MPP-Fidesz wie 1998 wieder eine Listenverbindung eingegangen ist, nichts weiter als ein Aufnäher am Mantel Orbáns, den dieser jederzeit abnehmen könnte.
Es ist die taktische Meisterleistung Orbáns, mit MPP-Fidesz fast alles rechts der Mitte entweder aufgesaugt oder pulverisiert zu haben. Wenige Monate vor den Wahlen unternahm eine Sammelbewegung aus Konservativen, Grünen und Liberalen mit der neuen Zentrumspartei noch einen Versuch, die verwaiste Mitte zu besetzen. Die Umfragewerte waren zuletzt ermutigend, doch dürfte die Zeit doch zu kurz gewesen sein, genug Wähler von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß es zwischen den Blöcken auf der Rechten und der Linken noch etwas geben müsse. Sollte es der Zentrumspartei aber doch gelingen, ins Parlament zu kommen, wäre die Regierung Orbán am Ende: Viele ehemalige konservative und liberale Verbündete sind inzwischen zu Feinden des Machtmenschen Orbán geworden und würden den Linken und Linksliberalen wohl helfen, ihn zu stürzen.
Zum rechten Block gehört auch die extremistische, offen fremdenfeindliche und antisemitische Lebens- und Gerechtigkeitspartei (MIÉP) des ehemaligen Schriftstellers István Csurka. Zwar ist die MIÉP, seit 1998 mit 5,5 Prozent der Stimmen im Parlament vertreten, offiziell eine Oppositionspartei. Doch bei entscheidenden Abstimmungen hat sie stets mit der von Orbán geführten Koalition gestimmt - und ist mit Spitzenposten, etwa bei den öffentlich-rechtlichen Medien, für ihr stummes Wohlwollen belohnt worden. Orbán und MPP-Fidesz haben sich mit immer heftigeren und zudem geschmacklosen Angriffen gegen Linke und Linksliberale, dazu mit arg patriotischen und auch latent antiwestlichen Parolen sichtlich um die Wähler von MIÉP bemüht. Man darf gespannt sein, was Orbán nach den Wahlen tun wird, sollte er die angestrebte absolute Mehrheit verfehlen und auf die Unterstützung Csurkas angewiesen sein.
Im Vergleich zu den tektonischen Verschiebungen von historischen Dimensionen auf der Rechten ist auf der Linken alles beim alten geblieben. Führungskraft sind unangefochten die aus dem reformkommunistischen Flügel der einstigen Staatspartei hervorgegangenen Sozialisten (MSZP), die vier Jahre Opposition freilich nicht zur personellen Erneuerung und zur Verjüngung ihrer Führungsriege zu nutzen vermochten. Programmatisch ist die MSZP zweifellos eine sozialdemokratische Partei, auch wenn MPP-Fidesz zur Abschreckung vor einer Rückkehr der Sozialisten an die Macht den Teufel eines noch nicht vollendeten Systemwechsels an die Wand malt.
Alles spricht dafür, daß der linksliberale Bund Freier Demokraten (SzDSz) die von den Kleinlandwirten geräumte Position der drittstärksten politischen Kraft einnehmen wird. Der Versuch des SzDSz, sich unter dem Budapester Bürgermeister Gábor Demszky als Interimsvorsitzenden aus der Umklammerung der Sozialisten zu lösen und als unabhängige Kraft in die politische Mitte zu rücken, ist gescheitert. Wie während der Regierungszeit zwischen 1994 und 1998 bietet sich der SzDSz mit dem ehemaligen Innenminister Gábor Kuncze an der Spitze wieder als Partner der Sozialisten unter dem verbindlichen, aber etwas hölzernen Finanzfachmann Péter Medgyessy als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt an. Eine Koalition von MPP-Fidesz und SzDSz ist heute undenkbar: Zu viele politische Erdbeben haben die ehemaligen liberalen Schwesterparteien im vergangenen Jahrzehnt voneinander getrennt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2002, Nr. 79 / Seite 7
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Das Parkettgespräch: Bux schlägt Euro Stoxx 50
Schafft es Viktor Orbán als erster ungarischer Ministerpräsident nach der Wende, an diesem Sonntag wiedergewählt zu werden? Für Ralph Luther ist die Frage, ob die bürgerliche Regierung bleibt oder ob die aus dem Reformflügel der kommunistischen Staatspartei hervorgegangene sozialistische MSZP künftig den Ministerpräsidenten stellt, für die Kursentwicklung am Aktienmarkt nicht entscheidend. "Wenn kein internationales Störfeuer dazwischenkommt, werden ungarische Aktien im Schnitt in diesem Jahr noch weitere 20 Prozent zulegen", schätzt er. Wahrscheinlich sei, daß der Standardwerteindex Bux wie schon 2001 auch 2002 besser abschneiden wird als der Euro Stoxx 50, der Index der wichtigsten 50 Aktien des Euro-Raums.
Beitrittsphantasie, Zinssenkungen und niedrige Bewertung lauten die Stichworte, mit denen der Fondsmanger diese Prognose untermauert. Den EU-Beitritt schon im Jahr 2004 hält er für "mehr oder weniger sicher". Es stelle sich eher die Frage, wann Ungarn den Euro einführe. "2006 vielleicht", sagt er. "Um die Beitrittskriterien zu erfüllen, müssen die Zinsen noch kräftig sinken. Dies wirkt kurstreibend auf Aktien." Solange Ungarn nicht zur EU gehöre, sei ein Bewertungsabschlag gerechtfertigt. Luther weist darauf hin, daß das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ungarischer Aktien zwischen 10 und 11 betrage. "Dies ist ein Abschlag von 50 Prozent und wohl zu hoch", sagt er mit Blick auf die Bewertung von Aktien im Euro-Gebiet. Groß sei insofern das Aufholpotential, wie auch ein Blick auf die Kursentwicklung am italienischen, spanischen und griechischen Aktienmarkt vor dem EU-Beitritt dieser Länder zeige.
Das Ziel EU und dann den Beitritt zur Währungsunion scheinen die beiden großen Parteien mit ähnlicher Vehemenz zu verfolgen. Doch Luther hat aus Anlegersicht schon eine parteipolitische Präferenz. "Es ist paradox", sagt der Manager des Fonds Magyar Budapest. "Aber die Sozialisten sind wirtschaftsfreundlicher, ja auch aktionärsfreundlicher." So wollten sie sogar die Spekulationssteuer abschaffen. Die Ungarn müssen Kursgewinne mit Aktien versteuern, die sie nicht länger als ein Jahr gehalten haben. "Diese Steuer vergrault viele Daytrader und ist ein Grund für die ohnehin niedrigen Umsätze an der Budapester Börse."
40 Millionen Euro hat Luther zur Verfügung, um ausschließlich in ungarische Aktien zu investieren. Ungefähr genau so hoch ist der Wert aller Aktien, die an einem Tag an der Budapester Börse, schräg gegenüber dem traditionsreichen Kaffeehaus Gerbeaud, umgesetzt werden. Nur noch gut 50 Unternehmen sind überhaupt börsennotiert. "Als wir Ende Januar 2000 mit dem Fonds anfingen, waren es noch 63", erinnert er sich. "Borsod Chem und TVK werden in diesem Jahr auch noch vom Kurszettel verschwinden", sagt er voraus. "Und es kommen keine Unternehmen nach." Dies passe nicht so recht zu einem Wachstumsmarkt wie Ungarn. "Die Regierung muß den Gang an die Börse besser fördern", fordert Luther.
Da der Fonds in Deutschland zugelassen ist, muß Luther mindestens acht verschiedene Aktien halten und darf nicht mehr als 10 Prozent seines Vermögens in einen Titel investieren. OTP, Richter, Matáv und Mol - diese vier Blue Chips hat Luther bis zur Höchstgrenze aufgestockt. Undurchsichtig ist die Lage beim Energie- und Gasunternehmen Mol. Die Gassparte soll verkauft werden. Mit ihr läßt sich schwer Gewinn machen, weil die Regierung aus sozialen Gründen Mol eine kräftige Erhöhung der Verbraucherpreise verbietet. "Sollte es tatsächlich die Gassparte loswerden, wäre Mol ein reines Energieunternehmen und dann mit einem KGV von weniger als sechs günstig", sagt Luther. Seine Lieblingsaktie ist aber eine andere. ,"Wenn ich dürfte, würde ich mehr als 10 Prozent meiner Mittel in OTP anlegen." Die einzige größere Bank, die nicht in ausländischen Händen ist, sei sehr gut aufgestellt, zeichne sich durch hohes Wachstum aus und profitiere wie alle Banken von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Obwohl 70 Prozent aller Exporte in die konjunkturschwache EU gehen, wuchs die ungarische Wirtschaft 2001 immerhin noch mit fast 4 Prozent. Die hohe Zinsspanne macht die Kreditvergabe für Banken lukrativ.
Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Ungarn betrug 5600 Euro brutto im Jahr 2001, zu wenig für einen durchschnittlichen Ungarn, um viel zu sparen. Doch in den vergangenen vier Jahren stiegen die Einkommen jährlich um 10 Prozent - ein Trend, den die Bevölkerung durchaus der Regierung zurechnet. Doch die Mehrheit der Investoren wie auch Luther ist eher Orbáns sozialistischem Gegenspieler Péter Medgyessy zugeneigt, weil der ehemalige Bankier als berechenbarer gilt. Oft haben in den vergangenen vier Jahren Orbáns meist kaum vierzigjährige Parteifreunde die ältere Generation provoziert, die ein Großteil ihres Lebens im Kommunismus verbracht hat. Da die Wende in Ungarn Ende der achtziger Jahre wenig schwungvoll vollzogen wurde, sind noch viele der alten Kader in Medien und Ministerien am Ruder. Falls Orbán tatsächlich wiedergewählt wird, wäre dies wohl vor allem von den Jüngeren ein Mandat, den Bruch mit der Vergangenheit weiter zu forcieren. Was ihm aber viele Wähler und Investoren nicht verzeihen würden, wäre eine Koalition mit der die Grenzen zu den Nachbarländern in Frage stellenden Partei MIÉP. "Das wäre ganz schlimm", sagt Luther. Die Kurse am Vörösmarty-Platz könnten dann ganz schnell schmelzen wie eine leckere Dobos-Torte in der schon kräftigen Frühlingssonne.
HANNO MUSSLER / Ralph Luther Berenberg-Bank
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2002, Nr. 79 / Seite 25
Frankfurter Rundschau
"Die Stimmung auf dem Lande ist mies"
Ungarns Bauern hadern mit ihrer Regierung und hoffen auf die Wahlen am Sonntag
Von Ulrich Glauber
Wenn es um die Rinder geht, hellt sich das Gesicht von Istvan Feher auf. Stolz führt der Chef der Genossenschaft "Neue Heimat" im westungarischen Dorf Martonvasar die Viecher vor: 350 Tiere der Acquitaine-Rasse weiden neben den lang gezogenen Stallungen, die einst die Bier-Dynastie Dreher auf ihrem Großgrundbesitz zwischen der Hauptstadt Budapest und dem Plattensee erbauen ließ. Hinter der Herde, deren Jungstiere für die Zucht bis nach Griechenland exportiert werden, reichen die Äcker und Wiesen der Genossenschaft in der sanft gewellten Ebene bis zum Horizont. Auf 2500 Hektar Fläche bauen 70 Angestellte Erbsen, Sonnenblumen, Mais, Saatweizen und Futtergerste an, mit der die 350 Schweine der "Neuen Heimat" gemästet werden.
"Wir müssten dringend noch einen Rinderstall bauen, aber wir bekommen von der Bank keinen Kredit", meint der 58-jährige Feher resigniert. Der Chef der Genossenschaft mit umgerechnet rund 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz lässt keinen Zweifel daran, wem er das Investitionsproblem zu verdanken hat: Den Politikern in Budapest.
"Alle Gesetze der vergangenen zwölf Jahre hatten ein Ziel: Die Eigentumsverhältnisse auf dem Land auf den Kopf zu stellen", schimpft Feher. Seit 1992, der Wende in der ungarischen Agrarpolitik, müssen die Nutzflächen, die den im Kommunismus enteigneten Besitzern oder ihren Erben zurückerstattet wurden, fast ausschließlich gepachtet werden. Zudem musste die "Neue Heimat" 13 Anteilseigner ausbezahlen, die die Genossenschaft verließen. Rund 95 Rentner müssen am Gewinn beteiligt werden mit Beträgen bis zu 2000 Euro pro Person und Jahr.
Als sei dies noch nicht genug, leidet Fehers Betrieb darunter, dass die konservative Regierung vor allem Familienbetriebe mit weniger als 300 Hektar Anbaufläche subventioniert. Für den Genossenschaftschef ist das ein "Kardinalfehler". "Neulich haben wir uns auf einer Messe die neuesten Mähdrescher aus den USA angeschaut. Und dann kommt man nach Hause und sieht die Kleinbauern mit ihren Pferden rumziehen", beurteilt er die Wirtschaftsweise der Privatbauern in der Umgebung. Von denen können sich gerade zwei bei Hofgrößen um 100 Hektar mehr schlecht als recht über Wasser halten.
"Die Stimmung auf dem Lande ist mies", betont Erzsebet Meretei. Die Vorsitzende der Bezirks-Genossenschaftsvereinigung erläutert, dass die angeschlossenen Betriebe nicht so sehr wegen der Diskriminierung bei den Staatssubventionen, sondern vor allem wegen Planungsunsicherheit ihre Kreditwürdigkeit verloren haben. Einem "undurchdachten" Genossenschaftsgesetz der damaligen konservativen Regierung zufolge mussten die Gemeinschaftsbetriebe 1992 aufgespalten werden. Die Anteile wurden den ehemaligen Zwangsmitgliedern oder ihren Erben gutgeschrieben.
"1994 bis 1998 hat uns die Regierung beim Aufkauf der Fremdanteile unterstützt", hebt Meretei hervor. Doch die jetzige konservative Koalition unter Führung des Bundes der Jungliberalen hat beschlossen, dass der Staat sie selbst aufkauft. Was später damit geschehen soll, wissen die Genossen noch nicht.
Zudem müssen sie dem jüngsten Gesetz zufolge den bisherigen Sonderstatus ihrer Agrarunternehmen aufgeben und sie in Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Aktiengesellschaften umwandeln. "Das ist völlig übereilt. Es gibt noch keine Erfahrungen damit", beklagt Meretei den ständigen Wechsel der juristischen Rahmenbedingungen.
Während die "Neue Heimat" in Martonvasar sich noch über Wasser halten kann, stehen die Zeichen bei der Genossenschaft im nahen Aba auf Sturm. "Hoffentlich sind wir im Sommer nicht schon bankrott", schwant deren Chef Istvan Horvath Böses. Vor der Wende hatte der größte Arbeitgeber im Dorf 400 Beschäftigte, jetzt nur noch 115. Einige sind arbeitslos geworden, andere "Zwangsunternehmer", wie Horvath das nennt.
Das schlimmste sei die Unsicherheit bei Entscheidungen über die Geschäftsstrategie auch wegen riesiger Preisschwankungen auf dem ungeregelten Binnenmarkt. "Wir wissen im Vorstand nie, ob wir eine richtige Entscheidung fällen", klagt der sichtbar unter der Verantwortung leidende Chef-Genosse.
Die "Außenanteile" der in Not geratenen Genossenschaft sind so wenig wert, dass die meisten Besitzer mit einem Verkauf warten wollen. "Wenn diese Regierung an der Macht bleibt, werden sie an die heilige Maria verkaufen müssen", resümiert Horvath. Folglich hofft er, dass die Wähler beim Urnengang am Sonntag Ministerpräsident Viktor Orban und seiner Mannschaft einen geharnischten Denkzettel erteilen.
Wer auch immer die Wahlen gewinnt - eine Reform der Agrarpolitik ist dringend erforderlich. Auch weil in Ungarn zwei Drittel des Ackerbodens nicht von den Eigentümern, sondern von Pächtern bewirtschaftet werden, sei "die Bedeutung des Agrarsektors in der Volkswirtschaft innerhalb von zehn Jahren auf die Hälfte des früheren Niveaus" zurückgefallen, konstatiert eine Broschüre des Außenministeriums. Ein Fünftel der 3000 Dörfer im Land, vor allem in den hügeligen Randzonen, gelten als ausgesprochen arm.
Dabei besteht die Fläche der ehemaligen "Speisekammer" der K.u.K-Monarchie, in der einer legendären Operettenarie zufolge "idealer Lebenszweck Borstenvieh und Schweinespeck" waren, zu mehr als der Hälfte aus fruchtbaren Ackerböden - drei Fünftel davon mit überdurchschnittlicher Qualität.
Trotz der Krise verdient hier ein Drittel der ungarischen Familien - als Beschäftigte von 8000 Gemeinschaftsunternehmen, die aus den früheren Staatsgütern und Genossenschaften hervorgegangen sind, oder als Angehörige von 200 000 Kleinbetrieben - seinen Lebensunterhalt oder zumindest ein Zubrot, vor allem mit dem Anbau von Obst, Gemüse und Wein. "Die weitere Zurückdrängung der Produktion würde zu unerträglichen sozialen Spannungen führen", konstatiert deshalb selbst die Regierungsbroschüre - wohl nicht zuletzt mit Blick auf den Plan der Europäischen Union (EU), den Bauern der neuen Mitgliedsländer nur ein Viertel der Direktsubventionen zu zahlen, die in den "alten" EU-Ländern üblich sind.
Bei ihrer Agrarpolitik hat die Regierung in Budapest die EU-Kommission in Brüssel ohnehin fest im Blick: "Ziel ist, dass die Familienbetriebe in Ungarn mittel- und langfristig dem europäischen Agrarmodell entsprechend eine entscheidende Rolle spielen können".
Der Agrarsoziologe Pal Juhasz hält nichts von einer solchen Politik. Der 58jährige Wissenschaftler der Budapester Wirtschaftsuniversität, im vergangenen Ein-Parteien-System Dissident, will nicht einsehen, dass "der Staat Pacht und Verkauf von Boden weiter beeinflussen" will. Fünf bis sechs Prozent der Anbauflächen lägen wegen der falschen Boden- und Förderungspolitik bereits brach. Gerade die subventionierten Familienbetriebe seien auf internationaler Ebene nicht konkurrenzfähig. Mindestens 50 000 bis 100 000 von ihnen seien nach einem EU-Beitritt Ungarns zum Konkurs verurteilt.
Dass die Regierung Orban das "anachronistische Subventionssystem" beibehält, ist für Sandor Orosz von der oppositionellen sozialistischen Partei "reiner Stimmenfang". Der 46jährige Vize-Vorsitzende des parlamentarischen Agrarausschusses geht aber auch mit den Brüsseler Plänen einer Diskriminierung der ungarischen Landwirtschaft bei den Subventionen hart ins Gericht: "Das ist nicht anständig. Schließlich muss unsere Agrarwirtschaft bei Investitionen, Marketing und Preisen auf dem gemeinsamen Markt konkurrieren können."
Der liberale Agrarsoziologe Juhasz sieht dagegen auch Chancen in der EU-Mitgliedschaft: "Die konkurrenzfähigen Betriebe mit ihrem gut ausgebildeten Personal werden von den kalkulierbaren Preisen und langfristigen Planungsmöglichkeiten nur profitieren können."
taz (Berlin)
Ungarn, Ungarn über alles
Populistische Rhetorik beschert Ungarns regierenden Jungdemokraten zwei Tage vor den Wahlen Spitzenumfragewerte. Sogar eine absolute Mehrheit ist drin. Außenpolitisch setzt Regierungschef Viktor Orbán auf die Achse Berlusconi und Stoiber
von KENO VERSECK
Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geht derzeit Ungarn über alles. Auf seiner Wahlkampftour durch Provinzstädte sah Orbán in den letzten Wochen Ungarn als Rakete nach dem Start, die niemand mehr aufhalten könne, nannte Ungar zu sein eine gute Investition, die ungarische Nation eine Familie, die je größer desto stärker sei, und verkündete, dass er zwar kein Astrologe sei, die Sterne Ungarn aber günstig stünden.
Solche patriotisch-populistische Rhetorik kommt derzeit offenbar gut an bei den Ungarn, wohl auch deshalb, weil es den regierenden Jungdemokraten (Fidesz) gelungen ist, Ungarns wirtschaftlichen Aufschwung so zu verkaufen, als hätten allein sie ihn herbeigeführt. In Umfragen liegt die regierende Koalition aus Jungdemokraten und dem Ungarischen Demokratischen Forum bei 44 Prozent und damit fünf Prozent vor den Sozialisten, der größten Oppositionspartei. Chancen auf einen Einzug ins Parlament haben nach den Parlamentswahlen vom Sonntag und dem zweiten Wahlgang in vierzehn Tagen nur noch der liberale "Bund freier Demokraten" und die rechtsextreme "Ungarische Lebens- und Wahrheitspartei".
Weil das komplizierte Wahlrecht große Parteien begünstigt, könnte die Regierungskoalition sogar die absolute Mehrheit gewinnen. Es wäre das erste Mal nach 1989, dass in Ungarn eine Regierung wiedergewählt wird.
Dass es wirtschaftlich bergauf geht, ist nicht zu übersehen. Die Wirtschaft wuchs letztes Jahr um 3,8 Prozent, die Reallöhne stiegen, die Arbeitslosigkeit liegt bei nur 5,7 Prozent, der Staatshaushalt schloss 2001 mit einem leichten Überschuss ab.
Doch diese Erfolge gehen nicht nur auf das Konto der Jungdemokraten. Die 1998 abgewählte sozialistisch-liberale Regierungskoalition setzte ein drastisches wirtschaftliches Sanierungsprogramm durch, von dem die Jungdemokraten in den letzten vier Jahren profitierten. Politisch haben sich die Jungdemokraten als einzig große Partei im breiten Spektrum von der Mitte bis zu den Rechtskonservativen etabliert. Vor zehn Jahren noch eine liberal-alternative, radikaldemokratische Kraft, regiert der Fidesz nun selbstherrlich und oft autoritär. Die fehlende klare ideologische Ausrichtung übertünchen seine führenden Politiker mit nationalem Populismus.
Außenpolitisch erweckt Orbáns Regierung den Eindruck, als wolle sie die Rolle der Regionalmacht spielen. Sie hat fast alle Nachbarn mit starken Sprüchen brüskiert und die Beziehungen zu ihnen belastet. So forderte Orbán von Tschechien und der Slowakei die Benes-Dekrete zurückzunehmen und eine Entschuldigung an die Adresse Ungarns. Er pflegt beste Beziehungen zu Edmund Stoiber und Silvio Berlusconi, die nach Ungarn kamen, um seinen Wahlkampf zu unterstützen. Als die EU kaum Kontakte zu Österreich hatte, hielt Orbán der ÖVP-FPÖ-Koalition die Stange. EU-Politiker verblüfft er - als Premier eines Landes, das 2004 Vollmitglied werden will - mit Äußerungen wie, es gebe für Ungarn ein Leben außerhalb der EU, falls die Aufnahmeverhandlungen nicht zur Zufriedenheit seines Landes verliefen.
Die Sozialisten haben solcher Rhetorik nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. Ihr Spitzenkandidat Péter Medgyessy gilt als hervorragender liberaler Ökonom und hatte als Finanzminister entscheidenden Anteil daran, dass Ungarns hohe Inflationsrate seit 1998 erstmals auf zehn Prozent zurückging. Verkaufen kann Medgyessy seine Kampagne für mehr Demokratie und Sozialpolitik nicht. Auch der Hinweis auf die Gefahr, dass die Rechtsextremen zum Zünglein an der Waage werden könnten, wenn die Regierungskoalition keine absolute Mehrheit erhält, brachte keinen Erfolg.
Derweil sonnt sich Viktor Orbán schon in der Pose des Wahlsiegers. Der wirkliche Wandel im Land und der Erfolg des "ungarischen Modells" würden nur erreicht, wenn er und seine Partei nicht vier, nicht acht Jahre, sondern noch länger an der Macht blieben. Eines weiß er schon jetzt: "Der Ungar hat seinen Glauben an sich und sein Selbstbewusstsein zurückgewonnen."
taz Nr. 6717 vom 5.4.2002, Seite 11
DER STANDARD (Wien)
Freitag, 5. April 2002, Seite 6
Duell zum Ende des Wahlkampfs
Orbán und sein Konkurrent Medgyessy treten in TV-Diskussion an
Budapest - Der ungarische Wahlkampf wird am Freitag-abend mit dem Debatten-Duell zwischen Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) und seinem Herausforderer Péter Medgyessy (MSZP) abgeschlossen. Der sozialistische Spitzenkandidat sagte erst am Donnerstag zu. Damit änderte er seine frühere Haltung, sich von Orbán nicht alles "diktieren" zu lassen.
Tatsächlich hatte der amtierende Ministerpräsident ultimativ den 5. April festgelegt, den letzten Abend vor der gesetzlichen Wahlkampfruhe. Das Duell wird live im Fernsehen übertragen.
Medgyessy wirkt in den Medien hölzern und verkrampft, während Orbán öffentlichkeitswirksam aufzutreten weiß. In einer rationalen Diskussion könnte der Bankfachmann Medgyessy die Wirtschaftspolitik Orbáns leicht demontieren. Doch Orbán wird einfach nicht darüber reden wollen, sondern seine PR-Botschaften von einer rosigen Zukunft wiederholen. Dass die Sozialisten Medgyessy nun doch in diese ungleiche Konfrontation schicken, mag darauf zurückzuführen sein, dass die letzten Meinungsumfragen einen deutlichen Trend zur Fidesz auswiesen. (gma)
DER STANDARD (Wien)
Freitag, 5. April 2002, Seite 6
Ungarische Diplomatie mit der BrechstangeDie umstrittene Außenpolitik der Magyaren löst internationales Befremden aus
Gregor Mayer aus Budapest
In den Jahren nach der Wende war die Außenpolitik ein Terrain, das zwischen den politischen Lagern weitgehend unumstritten war. Darüber, dass Ungarn der Nato und der EU beitreten, sein Verhältnis zu den Nachbarn normalisieren und für den Schutz der Rechte ungarischer Volksgruppenangehöriger in diesen Ländern gemäß internationaler Normen eintreten sollte, herrschte Konsens.
Entsprechende Erfolge blieben nicht aus: Ungarn trat mit der EU in Beitrittsverhandlungen ein, die sich ihrem Abschluss nähern, es wurde 1999 in die Nato aufgenommen und schloss Mitte der 90er-Jahre viel beachtete Grundlagenverträge mit den früheren "Erbfeinden" Rumänien und Slowakei ab.
Freilich, schon beim Abschluss der Grundlagenverträge hatte es Querschüsse aus nationalistischen und rechtsextremen Reihen gegeben. Doch eine völlig neue Situation trat ein, als sich Premier Viktor Orbán und sein Bund Junger Demokraten dazu entschlossen, das Wählerpotenzial rechts von der Mitte auf nationalistischer Grundlage zu homogenisieren.
Erstes augenfälliges Zeichen dafür war am 1. Jänner 2000 die pompöse Umbettung der Stephanskrone vom Nationalmuseum in das ungarische Parlament. Irritierend für die Nachbarn war, dass die Reliquie nicht nur, wie offiziell behauptet, ein Symbol für die 1000-jährige Staatlichkeit Ungarns, sondern auch für dessen Hegemonialanspruch im Karpatenbecken ist.
Das "Statusgesetz"
Die Unterordnung der Außenpolitik unter das Primat der innenpolitischen Bedürfnisse der Regierungspartei setzte sich mit dem "Statusgesetz" fort, für das aus Angst vor der "Patriotismusfalle" sogar die oppositionellen Sozialisten stimmten. Den rund drei Millionen ethnischen Ungarn in den Nachbarländern gewährt es gewisse Begünstigungen, die von Bahnfreifahrten bis zu befristeten Arbeitsgenehmigungen im Mutterland reichen.
Die Venedig-Kommission, ein Forum von Völkerrechtlern des Europarates, beanstandete die exterritorialen Wirkungen des Gesetzes und den Umstand, dass es in Fragen Arbeitserlaubnis und Sozialrechte die Bürger anderer Staaten auf ethnischer Grundlage diskriminiert.
Das offizielle Budapest zeigte sich von derlei unbeeindruckt. Seht, wir sind stark, wir ziehen das durch, lautet die Botschaft, wie sie im In- und nahen Ausland verstanden werden soll. Der Vorstandsvorsitzende der Regierungspartei Fidesz, Attila Várhegyi, verstieg sich sogar zu der Behauptung, mit dem Statusgesetz sei der erste Schritt zur "Schaffung der institutionalisierten politischen Gemeinschaft" aller Ungarn im Karpatenbecken getan.
Wie die gestandenen Revisionisten der 30er-Jahre verwendet er die Vokabel "Rumpf-Ungarn" für das Land in seinen heutigen Grenzen. Der Slowakei, die sich gegenüber dem Gesetz besonders ablehnend verhält, drohte Orbán, dass das Neumitglied Ungarn bei dem von Bratislava angestrebten Nato-Beitritt durchaus ein Wörtchen mitzureden hätte.
Orbáns Brechstangen-Diplomatie löste selbst in der US-Administration Befremden aus. Die Washington Post merkte Anfang März maliziös an, dass Leute wie Orbán die These zu widerlegen drohten, dass die Erweiterung der Nato mit der Verbreitung demokratischer Werte einherginge. Hätte der Regierungschef eines damaligen Beitrittskandidaten Mitte der 90er-Jahre so geredet wie Orbán heute, wäre sein Land nie in die Nato aufgenommen worden.
Trotz massiver Bemühungen seiner Diplomaten gelang es Orbán nicht, im Februar, als er die Ehrendoktorwürde der Universität Boston entgegennahm, einen wahlkampfwirksamen Termin bei US-Präsident George Bush zu erheischen. Dazu trug wohl auch bei, dass die Fidesz-installierte Rundfunkintendantin Katalin Kondor die neue US-Botschafterin in Budapest brüskiert hatte. Nancy Goodman-Brinker, zudem eine Freundin der Familie Bush, hatte kritisiert, dass Antisemitismus im ungarischen öffentlichen Diskurs salonfähig geworden sei. Frau Kondor hatte daraufhin gemeint, die Botschafterin "möge nicht einen solchen Unsinn daherquaken".
Die Welt
Premier Orban steht offenbar in Ungarn vor seiner Wiederwahl Aber wer von den kleineren Parteien schafft es ins Parlament? Der Wahlkampf war voller Gehässigkeiten und gering an SubstanzVon Boris Kalnoky
Budapest - Es war der härteste und gemeinste Wahlkampf seit der Wende. In den letzten Wochen flogen in Ungarn dermaßen die verbalen Fetzen, dass Ex-Staatsoberhaupt Árpád Göncz am Ende mahnte: "Wir werden auch nach den Wahlen noch alle hier sein und miteinander leben müssen."
Wenn es wenigstens eine Schicksalswahl wäre - aber das ist es nicht. Gewiss, die nächste Regierung wird Ungarns Beitritt zur EU ausgestalten. Aber eigentlich sind die Differenzen und der Spielraum in allen Fragen der Wirtschaftspolitik und der Westintegration so gering, dass nur schwer behauptet werden kann, die Sozialisten oder die regierenden Bürgerlichen stellten eine Gefahr für Ungarns Zukunft dar.
Bis vor einigen Wochen lagen die Kontrahenten und ihre Parteien - Ministerpräsident Viktor Orban (Fidesz-Ungarische Bürgerliche Partei) und sein Herausforderer, Ex-Finanzminister Peter Megyessy (Sozialisten) - noch Kopf an Kopf, und es sah eher so aus, als verliere Orban an Boden. Im Endspurt wendete sich das Blatt jedoch. Mittlerweile sehen alle vier führenden Meinungsforschungsinstitute Orban und sein Parteienbündnis mit 42 bis 48 Prozent in Führung, den Sozialisten werden 36 bis 40 Prozent zugetraut.
Die Frage ist, wer von den kleineren Parteien den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Insbesondere die rechtsextreme Miép, die gegen einen "Ausverkauf" und eine vermeintliche "Überfremdung" Ungarns eintritt, und sich beklagt, das "die in jüdischen Händen befindlichen Medien" die Partei ungerechterweise des Antisemitismus bezichtigen. Den Umfragen zufolge zeichnet sich ab, dass die Wahlbürger die Gefahr erkannt haben. Nachdem die Miép lange an der Fünf-Prozent-Grenze lag, werden ihr nurmehr zwei bis drei Prozent zugesprochen. Damit wäre der eigentliche Grund für die aufgeregte Wahlkampagne entfallen. Denn lange sah es so aus, als würde Orban die Miép brauchen, um zu regieren. Nach den jüngsten Umfragen ist das nicht mehr der Fall. Miép wäre gar nicht im Parlament, und die Bürgerlichen könnten trotzdem regieren. Ein Ergebnis von insgesamt weniger als 50 Prozent der Stimmen kann trotzdem eine Mehrheit im Parlament bedeuten.
Die Sozialisten können nur von der linksliberalen SZDSZ die Rettung erhoffen. Die Partei ist erstmals seit der Wende in Gefahr, nicht mehr im Parlament vertreten zu sein, wird es aber wahrscheinlich knapp schaffen. Zu knapp jedoch, um eine linke Mehrheit herbeizuführen.
Der Joker dieser Wahl ist die neugebildete "Zentrumspartei" unter dem früheren Finanzminister Mihaly Kupa. In den Umfragen liegt sie knapp unter der fünf-Prozent-Hürde, aber eine Überraschung ist denkbar. In diesem Fall wären alle klassischen Koalitionsszenarien ungültig, und die Frage wäre, auf welche Seite sich die Partei schlägt.
Der Wahlkampf war, wie das bei Wahlkämpfen so ist, voll bedauerlicher Gehässigkeiten. Die Sozialisten hatten es am schwersten, da sie eine gute Regierungsbilanz schlecht reden mussten. So riefen sie empört, Orban habe "gelogen", weil Ungarn nicht wie versprochen jährlich sieben Prozent Wachstum genoss. Aber aus vier bis fünf Prozent Wachstum ist immer noch kein Strick zu drehen - Ungarns Wirtschaft geht es gut, und es wird ihr auch in den nächsten Jahren gut gehen - egal, wer regiert.
Als Fidesz vor ein, zwei Monaten noch abzurutschen drohte, kamen aus der Partei bedenkliche Schlagworte - von "Vaterlandsverrat" war die Rede, weil die Linken die Hilfsprogramme für die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern ablehnen. Und rhetorisch wurde den "Verlierern" empfohlen, sich einen Strick und einen Baum zu suchen.
Solche Breitseiten feuert vor allem Lászlo Kövér ab, der geschäftsführende Vizepräsident der Partei. Am raffiniertesten sind immer seine "Entschuldigungen". So soll er gesagt haben, es stimme schon, eigentlich könnten die Linken keine Vaterlandsverräter sein - denn dafür müsse man erst eine Heimat haben. Und was den Strick betrifft: "Ich habe keine Namen genannt, seltsam, wie viele sich angesprochen fühlen".
Eine letzte Chance, das Glück zu wenden, bietet sich heute - falls am Ende doch eine lange Zeit fragliche TV-Debatte zwischen den beiden Spitzenkandidaten stattfindet.