Meine Wahlkampfwoche
Der konservative Parteivorsitzende hatte endlich etwas gesagt. Etwas
derbes, etwas beleidigendes. Eine Welle der Empörung ging durch das
Land, bis dann das TV-Duell vor der Wahl sein Übriges tat.
Kommt Ihnen das bekannt vor?
Die Geschichte ist ein Paar Monate alt. So geschah es in Ungarn, im
April dieses Jahres. Es war Wahlkampf! Familien gingen auseinander,
Freundschaften wurden aufgekündigt, Schulkinder prügelten sich in der
Schule. Und der Vorsitzende der Konservativen sagte bei
mehreren Wahlversammlungen klar und deutlich, dass die
Nicht-Konservativen am besten in den Keller runtergehen und sich dort
erhängen sollten.
Eigentlich hätte Helmut Kohls Angriff
auf Wolfgang Thierse ebenfalls eine Welle der Empörung auslösen müssen.
Fehlanzeige. Kohls Vergleich zwischen Thierse und Göring wurde nur mit
großer Mühe in der Diskussion gehalten, nicht zuletzt als passendes
Thema, um die neuen Arbeitsmarktzahlen zu verdecken. Wobei die vier
Millionen Arbeitslosen den müden Wahlkampf auch nicht zu beleben
vermochten. Auch dann nicht, als Stoiber verkündete: ein jeder
Bundeskanzler mit über vier Millionen Arbeitslosen wurde und wird
abgewählt.
Aber vielleicht war das gar nicht mehr
eine Aussage für diesen Wahlkampf, sondern für den nächsten. Vielleicht
dachte er gar nicht an die Kanzler Kohl und Schröder, sondern an einen
Kanzler Stoiber. Er würde ja mehr Spielraum haben, wenn er erst ab der
Vier-Millionen-Marke abgewählt würde und nicht schon ab
Dreieinhalb-Millionen.
Also, ich beneide die deutschen
Partei-Propagandisten gar nicht. Schon das erste TV-Duell wurde mit
großem Eifer vorbereitet, und was kam da raus? Eine Sendung, die
vollkommen der deutschen Wirklichkeit entsprach: gut organisiert, voll
geregelt, dementsprechend ein bisschen langweilig, dafür gab es aber
auch keine großen Überraschungen. Das zweite Duell war nur ein bisschen
spannender. Es ist wohl nicht leicht, Wahlkampf zu führen in einer
Konsens-Demokratie.
Und gerade das ist das Problem. Die
Konsens-Demokratie. Die ist etwas, was ich anfangs, aus meinem
aufgewühlten Ungarn kommend, so hoch schätzte. Bis ich allmählich
begriff, wie sehr dieser Konsens die Reformen bremst. Am Arbeitsmarkt,
wo Gewerkschaften und Arbeitgeber offensichtlich nie zu gleicher Zeit
Recht haben können, oder im Gesundheitswesen, wo Ärzte- und
Pharmalobbys kaum den Konsens finden werden mit der Sozialversicherung.
Übrigens nicht nur in Deutschland. Nun sollten die Deutschen eigentlich
den Kanzler wählen, der ein bisschen weniger Konsens und ein bisschen
mehr Reformen wagen würde. Ich möchte mich ungern einmischen, aber
Stoibers Kompetenzteam mit den verdienten Größen der Kohl-Jahrzehnte
ist nicht das beste Vorzeichen für mutige Reformen. Wobei in Sachen
Reformen Rot-Grün im ersten und letzten Jahr auch nicht mit
Hyper-Aktivität glänzte, dafür zumindest zur Halbzeit einen Schwung
nahm.
Aber was nun die
Wahlkampf-Berichterstattung anbelangt, kann ich meine Hörer nicht zu
sehr verwöhnen. In Deutschland sprechen alle von einer amerikanisierten
Kampagne, wo ich eher Langeweile spüre. Als ich neulich in der
gemütlichen Pfalz den Ministerpräsidenten Beck nach der Kampagne
fragte, klang seine Antwort wie das gewohnte deutsche Sowohl-Als-Auch:
"Also, langweilig finde ich sie eigentlich nicht, muss ich sagen. Ich
glaube auch nicht, dass sie diesmal zu amerikanisch geraten ist,
sondern dass sie durchaus versucht natürlich auch jüngere Leute
anzusprechen mit ihren heutigen Erfahrungen und medialen Gewohnheiten,
aber dass auch die klassische Diskussion durchaus zu ihrem Recht kommt.
Ich selber mache insgesamt rund 90 Veranstaltungen, und darunter sind
doch ein Löwenanteil die klassischen Veranstaltungen mit einer Rede,
mit einer Diskussion, mit der Begegnung mit den Bürgern. "
Mitten im ruhigen Wahlkampf konnte ich
dann noch etwas richtig Beruhigendes nach Hause melden. Denn zum Glück
gibt es die ausländischen Kollegen, die die etwas anderen Fragen
stellen. Besonders nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden
wollen die wachsamen Ausländer immer wieder wissen: gibt es
eine rechte Gefahr? Und die Deutschen gelten immer noch als gebrannte
Kinder. Anfang letzter Woche befragte die Auslandspresse den Direktor
des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner.
"Was diese Bundestagswahl anbelangt, ich glaube, dass hier sowohl
rechtspopulistische als auch rechtsextreme Parteien keine Chance haben.
Grundsätzlich aber haben wir auch in Deutschland ein Potential für eine
rechtspopulistische Partei. Das heißt, wenn wir einen Haider hätten, und er
hätte rechtzeitig kandidiert, dann wäre es vielleicht auch bei dieser
Bundestagswahl möglich gewesen, dass eine rechtspopulistische Partei
über 5 Prozent bekommt. Das Potential liegt etwa bei 12-15 Prozent. Nur: wir haben
keinen Haider."
Also, dann: wieder kein Grund zur Aufregung.
(WDR, September 2002)