Vergleichsweise
Ein Gespenst geht um in Deutschland — das Gespenst des Faschismus. Na
ja, nicht wirklich. Nur vergleichsweise.
Schon früher wurde Gorbatschow mit Goebbels verglichen. Und jetzt kommt
es wie auf dem laufenden Band. Thierse und Göring, Bush und Hitler,
Bundestag 2002 und Reichstag 1932.
Die Liste ist lang und parteiübergreifend. Die ehrwürdigen Autoren sind
Helmut Kohl, Herta Däubler-Gmelin, Christoph Stölzl. Das kann alles
kein Zufall sein. Bei den Vergleichern handelt es sich ja um zwei
Historiker und eine Juristin. Aber warum? Ich habe nachgedacht. Das ist
die einzige Methode, um die Gegner zu beschimpfen, anders geht es
nicht.
Die bodenständige Methode, die auf der politischen Bühne sowieso nicht
passte, nämlich einfach die Mutter des Gegners unmoralischer Handlungen
zu bezichtigen, ist heutzutage schon sachlich nicht zutreffend.
Prostitution ist ja nichts böses, sie ist legal, sogar gewerkschaftlich
organisiert.
Geld kann auch keine Rolle spielen, seitdem so gut wie alle Parteien
ihre eigenen Spendenaffären oder zumindest Bonusmeilen haben. Agent von
fremden Mächten? Geht auch nicht, da mit der Ausnahme vom Saddam
Husseins Irak alle übrigen Mächte verbündet sind in der Koalition gegen
den Terrorismus.
Eine Rote-Socken-Kampagne kommt auch nicht in Frage. Das letzte Mal,
als so etwas noch einigermaßen funktionierte, war unter Kohl. Seitdem
verkauft die PDS selber rote Socken. Unter „pds-online” zu bestellen, 2
Euro 5 das Paar. Die Linken machen sowieso keinem mehr Angst. Gregor
Gysi hat ja die ganze Wirtschaft der Hauptstadt unter den Nagel
gerissen und nicht einmal verstaatlicht. Historische Vergleiche mit den
Kommunisten wären höchstens in der Bauindustrie zu verwenden, sie
hatten ja einen Mauerbauer und einen Dachdecker.
Was bleibt da übrig, wenn man richtig schimpfen will? Wenn jemand in
Deutschland aus irgendwelchen Gründen nicht Warmduscher sagen will,
kann er nur Nazi sagen, oder?
Hitler hat darüber hinaus einen ernst zu nehmenden Vorteil: ihn kennen
sogar die Amerikaner, so was verstehen sogar sie aus den sonst so
komplizierten europäischen Geschichten. Und: die Amerikaner sind
lernfähig. Meiner Berliner Tageszeitung entnehme ich, dass das
Time-Magazin bald mit diesen Worten titelte: „Bush zornig über den
Führer”. Mit dem Führer war Bundeskanzler Schröder gemeint. Soweit ich
weiß, hat dann weder die deutsche noch die amerikanische Presse weitere
Fragen gestellt. Ein Glück. Wer alles hätte sonst das Beispiel von
Herta folgen und wegen Hitler-Vergleich auf seinen Posten verzichten
müssen?
(September 2002)