Wie die Ungarn fluchen
Unsere Ahnen in Ungarn vor etlichen hundert Jahren konnten nicht
wissen, dass eines Tages die fortschrittlichen Deutschen aus der
Prostitution per Gesetz einen fast ordentlichen Beruf machen werden.
Nur damit ist es zu erklären, dass, wenn in Ungarn geflucht wird, die
Huren so oft ins Gerede kommen. Eine gängige Formel geht zunächst von der
Annahme aus, dass der liebe Gott sich auf diesen Beruf verlegt hat, und
infolge dessen er Geschlechtsverkehr ausüben sollte, und zwar entweder
mit den störenden Umständen allgemein, oder mit einer unliebsamen
Person konkret. Die Ungarn, diese Machos, denken sowieso am häufigsten
an den Sex, wenn sie fluchen. Als Ausnahme könnte man unangenehme
Krankheiten wünschen, das wäre aber eher volkstümlich und nicht mehr
zeitgemäß. Und das kurze Wort szar gilt heutzutage ebenso harmlos, wie
Scheiße bei den Deutschen oder merde bei den Franzosen.
Zum richtigen Fluchen bleiben also
entweder unmoralische sexuelle Handlungen oder fehl platzierte
Geschlechtsteile übrig. Einen Mann als schwul zu bezeichnen gilt
beispielsweise in Ungarn heutzutage immer noch eher als eine
Beleidigung als Zeichen einer freundlichen, toleranten Einstellung. Und es ist
schon eine ziemlich derbe, aber doch nicht ungewöhnliche Beleidigung,
wenn ein Mann einen anderen zum Oralverkehr aufruft. Wirklich
schmerzhaft ist, die Mutter des Gegenübers als Hure zu brandmarken.
Ebenso beleidigend ist es, diese Bemerkung damit zu kombinieren, dass
wir den unliebsamen Zeitgenossen zurückschicken in den Mutterleib, und
zwar nach guter ungarishen Art, durch anatomisch genaue Beschreibung
des dorthin führenden Weges. Viel hängt natürlich von der Intonation
ab.
Merkwürdig ist jedoch, dass die
ungarische Umgangssprache das Hurensein andererseits offenkundig schön
findet, und das Wort zum größeren Nachdruck benutzt: wenn etwas
wirklich gut ist, dann ist es eben hurengut, ebenso, wie das Wetter
hurenkalt oder hurenwarm sein kann. Zu dieser Branche sollten wir noch
erwähnen, dass es üblich ist, die große Unordnung als Bordell, ganz
genau mit dem deutschen Leihwort als kupleráj zu bezeichnen. Wobei
ältere Leute immer wieder betonen, dass zu den wenigen Orten, wo in den
schönen alten Zeiten wirklich alles organisiert und ordentlich lief,
gerade die Bordelle zählten. Es ist eigentlich ebenfalls kein Fluch, sondern
nur eine schlechte Gewohnheit, und zwar nicht nur bei Prolls, sondern
fast überall, das ungarische Wort für „ficken“ leicht vernuschelt
einfach als harmlose Interpunktion zu benutzen. Ein bazmeg, sozusagen
als Punkt am Ende eines jeden Satzes ist für viele Ungarn ebenso
normal, wie das „oder?“ für die Schweizer oder eben das „gell“ für die
Bayern.
Was nun die richtigen Flüche betrifft, da
Ungarn kein Meer hat, war das nie die Domäne der Matrosen. Die
entsprechende ungarische Redewendung lautet: er flucht wie ein
Kutscher. Vielleicht auch deswegen, oder aber weil die Magyaren
bekanntlich ein Reitervolk sind, kommt es, dass im ungarischen
Fluch-Wörterbuch die Pferde einen vornehmen Platz haben. Wo die
Amerikaner traurig bullshit sagen, spricht der Ungar im selben
Zusammenhang nicht vom Stier, sondern vom Pferd. Und der vielleicht
gängigste böse Wunsch geht davon aus, dass das dicke Glied des Hengstes
im Hintern eines Mannes wahrlich ein schmerzhaftes Erlebnis sein mag. Eine
harmlosere Erwähnung dieses Pferdeteils ist, wenn wir etwas einfach
zurückweisen wollen. Lófasz ist auch ein Synonym für nein oder nichts.
Der deutsche Hörer sollte sich dieses
Wort auch aus einem anderen Grund merken. Ebenso, wie manch ein
Deutscher den Namen Reiter trägt, können Sie jederzeit einen Ungarn
namens Lovas treffen. Sprechen Sie dann diesen Namen so aus, wie ich es
eben getan habe. Wenn Sie es nach deutschen Regeln mit Vau und Es
sagen, kann es vorkommen, dass Sie den ungarischen Gast beleidigen, und
er für Sie im Gegenzug ein richtiges lófasz wünscht.
(WDR / Funkhaus Europa, Juni 2001)