Herrensitzung
“Achtung... Funken, Tanz! ...” -- lautet die Musik. Herrensitzung im
rheinischen Karneval, und ein Ungar aus Berlin mittendrin.
Was alles ein gewissenhafter Korrespondent für seine Hörer tut.
So finde mich auf einmal in der ungewöhnlichen Lage, wo ich an meinem
linken Arm einen Diplomaten, an dem rechten einen Geschäftsmann habe,
und wir schunkeln alle mit. Bis jetzt habe ich nie verstanden, warum
die Deutschen das Schunkeln so sehr mögen. Und nun, da ich mitten drin
bin — ist es sicher, dass ich es auch nie verstehen werde.
Im Rausch der Herrensitzung fallen mir die heimischen Nachrichten ein,
und unter Alkoholeinwirkung glaube ich seltsame Parallelen zu finden.
Die Tage des rheinischen Karnevals fallen mit dem Anfang der
Wahlkampagne in Ungarn überein. Und die ungarische Landesmedienanstalt
gab eine Empfehlung heraus, die besagt, bis zu den Wahlen in April
sollten in den Medien Kabarett und politische Witze parteipolitisch
ausgewogen sein. Ein landesweites Privatfernsehen hat darauf eine
beliebte Sendung — die nach dem Muster von “Sieben Tage, sieben Köpfe”
läuft — beinahe ausgesetzt. Die Sendung wurde erst durch
Zuschauerproteste gerettet. Echt preußisch, die ungarischen
Medienaufseher. Am Rhein ist dagegen die Landesmedienanstalt
offenkundig ein zahnloser Löwe, und eine Karnevalaufsicht, die gibt es
überhaupt nicht. Nur so konnte es soweit kommen, dass als ich an dem
langen Biertisch in der Stadthalle sitze, solche unverschämte Witze zu
hören sind, wie dieser über den Bundeskanzler:
“...Das war genau, wie es in Afghanistan losgegangen ist, ist er zum
Bush geflogen. Gut gelaufen. Zwei Tage später nach Hause gekommen,
sagt, Doris, der Hammer, ich hab Weltpolitik gemacht. Heute abend
schläfst du mit dem größten deutschen Politiker aller Zeiten. Hat sie
gesagt, muss ich nach Oggersheim fahren, oder kommt Helmut Kohl zu
uns?”
Und das ist nur ein Beispiel. Türkenwitze gibt es auch. Die
Büttenredner lassen Politiker böswillig in den Tod stürzen, und
außerdem bestrafen sie mich persönlich Lügen. Ich berichtete nämlich zu
Zeiten des Berliner Wahlkampfes, dass für die politisch korrekten
Deutschen die sexuelle Orientierung des regierenden Bürgermeisters
überhaupt kein Thema ist. In den Büttenreden aber... Und die Herren der
Herrensitzung lachen! Ist immerhin irgendwie beruhigend, dass die
ungarische und die deutsche Volksseele doch nicht so weit voneinander
entfernt sind.
Was aber sagen die Politiker dazu?
Fühlen sie sich wirklich nicht beleidigt?
Einige Parteizentralen in Berlin könnten mit der Frage wenig anfangen,
der Sprecher der FDP, Martin Kothé, war aber bereit zu sachkundiger
Auskunft.
“Das sind Veranstaltungen in brodelnden Sälen, wo auch viel Alkohol
getrunken wird, wo sich Hunderte bis Tausende von Leuten aufhalten. Der
Redner selber spürt unmittelbar, wie seine Rede ankommt, oder dass es
als unangemessen, als falsch, als übertrieben aufgenommen wird, die
Witze, die jeweils über die Gegner dort gerissen werden. Und insofern
ist es eben tatsächlich ein wichtiges Stimmungsbarometer."
Der ungarische Korrespondent notiert also: die Politik passt schon auf,
mischt sich aber nicht ein. Das Ergebnis: die Witze bleiben halt
unausgewogen, wenn auch nicht dem Zufall überlassen.
Die Erklärung dazu kommt von einem der Büttenredner, Willibert Pauels,
einem katholischen Diakon, der im Kölner Raum unter den Namen “ne
bergische Jung” bekannt ist.
“Kabarett ist mehr politisch links. Die Adressaten sind natürlich die
konservativen Politiker. Der bürgerliche Karneval ist traditionell
rechts. Da werden also, so wie bei mir, die Linken Politiker durch den
Kakao gezogen. Oder man hat natürlich -- wenn man das Glück hat -- so
eine Figur wie Kohl, aber er ist ja weg. Ich konnte ihn wunderbar
imitieren, er wirkt immer so ein bisschen trottelig, das konnte man
natürlich herrlich durch den Kakao ziehen.”
Und so lautet die Botschaft des Büttenredners und Diakons Pauels an
argwöhnische Politiker, eine im wahrsten Sinne des Wortes fröhliche
Botschaft:
“Also, die Reife erkennt man daran, wenn man über sich selber lacht.
Ideologische und fundamentalistische Einstellung erkennen Sie daran,
dass die immer beleidigt sind. Die lassen also niemals einen Witz zu.
Das ist aber eine Erkennungsrad für Unreife.”
(WDR / Funkhaus Europa, Februar 2002)